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Donnerstag, 14. März 2019

Pin Cushion

Der gesellschaftliche Standard, die normative Definition dessen, was der größte Teil der Menschen als normal betrachtet, ist entgegen aller Öffnung über die Jahrzehnte gegenüber vormals geächteten, am Rande existierenden Gesellschaftsgruppen in manchen Schichten weiterhin eng gesteckt. Als Jugendlicher hat man es schnell schwer, wenn man nicht dem streng festgelegten Maßstab seiner gleichaltrigen Mitmenschen entspricht. Zumindest, wenn man die Abweichung von der Norm nicht selbst gewählt hat. Spinner. Verlierer. Nerd. Uncool. Außenseiter. Gleich ob freiwillig oder wegen anderer Umstände nicht ins Raster passend, trägt man eine imaginäre Zielscheibe; ist das zarte Lamm, in das die mobbenden Wölfe mit asozialen oder hinterhältigen Aktionen ihre schmerzenden Reißzähne stoßen. Die hinterlassenen psychische und soziale Wunden klaffen so tief, dass sie in manchen Fällen unterbewusst nie komplett verheilen.

Der unbedingte Drang, dazugehören zu wollen, treibt weiter ins schmerzende Verderben voller kleiner und großer Demütigungen. Deborah Haywoods Umgang mit dieser Thematik in ihrem Debüt Pin Cushion umweht eine kühle Aura. Im nüchternen Blick auf den Kampf ihrer beiden Protagonisten, in ihrem neuen Wohnort einen Platz in der örtlichen Gesellschaft zu finden, schimmert bei allen schweren Schlägen die Haywoods Geschichte für sie bereit hält, eine Zuneigung für die beiden Frauen aus. Iona und ihre alleinerziehende Mutter Lyn wirken in ihrer eigenen Welt aus bunter, unpassend zusammengepuzzelt erscheinender Kleidung, ebenso farbenfroher und vor Kitsch überquillender Einrichtung in ihrem kleinen Haus und ihrem zuerst ungewöhnlich nahen und liebevollen Umgang miteinander hochgradig schrullig. Diese quirkiness lässt für beide große Sympathien wachsen. Gleichzeitig zeigt Haywood, wie unsicher sie einzeln außerhalb ihrer gewohnten Umgebung, der eigenen kleinen Welt, sind.

Iona findet schnell Anschluss, lügt der Mutter sozusagen aber vor, dass sie in ihren falsch spielenden Klassenkameradinnen Stacey, Keeley und Chelsea Freundinnen gefunden hat. Auch Lyn, die für ihre Tochter fürsorgende Mutter und beste Freundin zugleich sein will, ist ihrem Kind gegenüber unehrlich. Ihre angeblichen Dates, ihre Besuche bei Gemeindeveranstaltungen scheitern an ihrem nicht vorhandenen Selbstbewusstsein und sozialen Ängsten, resultierend aus Scham vor ihrem verwachsenen Rücken. Als Iona, deren Tagträume bereits andeuten, dass sich das Mädchen ein Leben wie aus dem Werbeprospekt weit weg von den Schrulligkeiten der Mutter wünscht, sich von ihrer Mutter abnabelt, um ihren angeblichen Freundinnen zu gefallen, stürzt dies Lyn in ein weiteres Loch währen das andauernde Mobbing der Mädchen Iona beständig zermürbt. Bei einer Party geschossene Nacktfotos der stark alkoholisierten Jugendlichen, die in der Schule umgehen und der Verlust ihres Schwarms Daz an Keeley führen zu einer Tragödie, welche die Welt von Lyn und Iona zum Einstürzen bringt, als Lyn zufällig von den Nacktfotos erfährt.

Frei von Klischees ist Haywoods Script nicht. Pin Cushion erscheint manchmal wie eine Worst of-Sammlung von Dingen, die Jugendlichen im Bezug auf Mobbing in der Schule und Identitätssuche in der Pubertät widerfahren können. Iona scheint kein Glück gegönnt; alle kleinen Lichtblicke vernichtet die Autorin zugunsten weiterer Dramatik und der Verlust des Freunds an die Anführerin der Clique ist auch in seichten Teenie-Filmen seit Jahr und Tag ein gern genutztes Element. Ist Deborah Haywood demnach eine Sadistin, die ihren Figuren und dem Zuschauer keine Hoffnung gönnt? Eher ist sie eine schonungslose Realistin, um die Aktualität ihres Filmthemas bewusst, welche das schlimmstmögliche Szenario zeichnet. Iona und Lyn sind Social Outcasts, die schwer außerhalb ihres Kosmos existieren können. So unangenehm viele Szenen um Ionas Bemühungen, zur Mädchenclique gehören zu wollen, die die Naivität der jungen Dame schonungslos offenlegt, sind und so traurig Lyns scheiternde Bestrebungen sind, weg von ihrer Tochter Anschluss zu finden: Haywood schafft durch die detaillierte Einführung ihrer Hauptfiguren eine nahe Bindung des Zuschauers zu diesen.

Häufig möchte man Iona verzweifelt zurufen oder an den Schultern packen und schütteln, damit sie aufwacht und bemerkt, wie man mit ihr umgeht oder sie und ihre Mutter einfach in den Arm nehmen, wenn das Schicksal einmal mehr gnadenlos zugeschlagen hat. An Schicksalsschlägen mangelt es dem Film nicht. Haywoods Blick auf die Welt junger Heranwachsender und den Problemen von sozialen Außenseitern, einen Platz in einer immer egomanischeren, hier auch oberflächlichen Welt zu finden, ist düster. Es gibt keinen Ausweg aus der Abwärtsspirale. Lyns gewählte Konsequenz als Rache an der Clique für deren fortdauerndes Mobbing ist zwar erschütternd, die ständige negative Richtung der Geschichte schenkt ihm leider den Nachgeschmack eines weiteren Schlags der Autorin gegen ihre Figuren. Erst die Schlusseinstellung lässt nach allen bitteren Stationen für Iona und Lyn Platz für teils fehlende Emotionen, deren Endeinstellung traurig wie schön zugleich ist. Pin Cushion ist ein - Nomen est omen - spitz zustechender Film mit hoffnungsloser Tonalität, hinter dessen Fassade man Haywoods Zuneigung zu den eigenen Figuren spürt und gleichzeitig beißend rational auf diese Außenseiter und ihre psychischen und soziale Probleme blickt. Die stets unaufgeregte, ruhige Regie und die tolle Darstellung der markanten Lily Newmark als Iona und von Joanna Scanlan als Lyn machen dabei aus Pin Cushion einen kleinen Geheimtipp des Coming of Age-Dramas.
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Montag, 30. April 2018

Lady Bird

Selten wurde ich in der letzen Zeit von einem Hype so angesteckt, wie von dem um Greta Gerwigs erste Soloregiearbeit. Der Film tauchte zur Hauptphase der Oscars in allen relevantesten Kategorien auf: er war für die Kategorien beste Nebendarstellerin, Hauptdarstellerin, Originaldrehbuch, Regie und bester Film nominiert. Ich gönnte Guillermo del Toro den Oscar für The Shape of Water; nach der Sichtung von Lady Bird empfinde ich es als ziemlich schade, dass es bei der Verleihung des alten Goldjungen nur bei den Nominierungen blieb. Dafür heimste er nicht nur zahlreiche andere Preise sondern immerhin zwei Golden Globes für die beste Hauptdarstellerin und den besten Film ein. Erste Stimmen zum Film bei letterboxd machten mich ziemlich neugierig auf das vielgepriesenen Debut Gerwigs und obwohl meine Skepsis gegenüber einem Film gleichzeitig mit den guten bis sehr guten Besprechungen wächst, verflog diese während meiner Sichtung äußerst schnell.

Eigentlich ist Lady Bird auf den ersten Blick nicht originell; das Rad erfindet er nicht neu und im Grunde genommen präsentiert uns Gerwig eine Coming of Age-Geschichte, wie es sie schon oft gab: ihre Protagonistin Christine McPherson, die von allen Lady Bird genannt werden möchte, ist ein 17-jähriges Mädchen mit den für das Alter typische Sorgen. Sie ist auf der Suche nach einer eigenen Identität, bandelt langsam mit Jungs an und hat die ersten Freunde, steht an ihrer katholischen Schule an der Schwelle des Abschluss und möchte raus aus ihrer für sie miefigen Heimatstadt Sacramento. Am liebsten an die Ostküste, genauer gesagt New York, um dort dann ein gutes College zu besuchen. Mit ihrer Mutter liegt sie trotz der guten Beziehung zu dieser häufiger im Clinch. Allein wegen den geringen Finanzen der Familie versucht sie ihre Tochter, manchmal ziemlich schroff, auf den Boden der Tatsachen zu holen und sie zu einer realistisch denkenden Person heranzuziehen. Lady Bird hat ihren eigenen Kopf und verfolgt stur weiter ihren Traum, Sacramento hinter sich zu lassen.

Gerwig erzählt ihre Geschichte angenehm unaufgeregt in Episoden, als würde sich die Regisseuren zu den Zuschauern setzen um bei einem entspannten, geselligen Abend einige Anekdoten zum Besten zu geben. Sie fängt einfach an zu erzählen, schubst uns in ihre Welt und verknüpft die einzelnen Geschichtsstränge über die Zeit zu einem größeren Ausschnitt aus einem Teenieleben. So plötzlich wie die Geschichte beginnt, endet sie auch. Lady Bird ist die größere, eine wichtige, Episode aus dem Leben einer Jugendlichen, die eben irgendwann auch mal wieder fertig ist. Das Kino fungiert für uns als Gastgeber des geselligen Abends und irgendwann wird man von diesem, so schön es auch ist, rausgeworfen, in die Nacht entlassen und lässt uns mit den Eindrücken von Gerwigs Geschichte zurück. Das macht Lady Bird so stark: der Film lässt einen klassischen Spannungsbogen vermissen, lässt uns durch die Erzählung fließen und zeigt: Teenieleben, pubertäres Aufbegehren und die Suche nach dem eigenen ich ist nicht immer laut und vereinnahmend. Es kann kleinere Dramen inmitten eines ansonsten unaufgeregten Lebens beherbergen.

Das ist eben das schöne an Lady Bird: er fühlt sich aus dem Leben gegriffen an, real, ohne dass überzeichnete Dramaturgie dem Film seine Glaubwürdigkeit raubt. Greta Gerwigs autobiographisch gefärbte Erzählung ist aus dem Leben herausgeschnitten und visuell für den interessierten Zuschauer aufbereitet. Man muss sich dabei nicht mal groß auf den Film einlassen. Gerwig ist eine charmante Geschichtenerzählerin, lässt viel über Dialog geschehen und verdammt, kann diese Frau gute Dialoge schreiben! Mit Leichtigkeit verbindet sie die kleinen und größeren Dramen aus Christines Leben mit hübschen Absurditäten. Das sie dabei nicht komplett Klischees umschifft, verzeiht man ihr. Ihre Lady Bird, großartig von der wunderbaren Saoirse Ronan gespielt, ist ein charmanter Charakter den man sofort ins Herz schließt. Man kennt es ja von diesen geselligen Abenden: da ist meist immer eine Person dabei, der man sehr gerne an den Lippen klebt, wenn sie ansetzt, ihre Geschichten zum Besten zu geben.

Dank Gerwigs tollem Gespür diese Everyday-Dramen ohne großem Knalleffekt fast beiläufig erscheinen zu lassen, die in ihrem kurzen Aufblitzen dennoch berühren und einer tollen Darstellerauswahl - die Chemie zwischen Ronan und ihrer Filmmutter Laurie Metcalf ist fantastisch - ist Lady Bird auch für mich zu einem Kandidaten für den besten Film des Jahres geworden. Seine Authentizität rührt aus seiner unbekümmerten Art, die bis zur Cinematography mit ihren ausgeblichenen Farben reicht und niemals gekünstelt wirkt. Das fängt schon mit dem an sich schlichten Kinoplakat, einer Profilaufnahme der Protagonistin, an. Es ist so simpel, so schlicht und nimmt den Betrachter nach kurzer Zeit ein. Das liegt vielleicht aber auch an diesem tollen Menschen, der Lady Bird trotz ihrer Sturheit ist. Allen Unsicherheiten und ihrem verbiegen in Richtung der coolen Leute in einer Phase der Geschichte, ist sie schon ein fast komplett gereifter Mensch, dem es zu Beginn des Films an letzter Erkenntnis fehlt. Selten hat es dabei so Spaß gemacht, einem jungen Menschen filmisch beim erwachsen werden zuzuschauen. Ich mag zwar z. B.  zum Teilauch die plakativ-provokanten Porträts eines Larry Clark, viel mehr gerate ich aber ins Schwärmen, wenn das gezeigte Coming of Age so spürbar echt ist, das man die Geschichten, die in diesem Falle die Autorin und Regisseurin in einem, weil man das so ähnlich auch irgendwie selbst erlebt hat.




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