Kommissar Basevi hat alle Hände voll zu tun in den Straßen von Mailand. Egal ob Schutzgelderpresser, Prostitution oder illegale Spielhöllen: die Gangster fallen dem jungen Polizisten reihenweise in die Hände. Etwas mehr zu schaffen macht ihm da schon der brutale Banküberfall einer mit Kalkül vorgehenden Bande von vier Männern, angeführt vom sehr von sich überzeugten Piero Cavallero. In den vergangenen Jahren hat dieser mit seinen Kumpanen schon einige Überfälle auf Banken verübt und hat einen letzten großen Coup geplant. Dieser geht trotz sorgfältiger Vorbereitung etwas schief und auf der Flucht durch ganz Mailand kommen auch einige unschuldige Menschen um bevor der Kommissar mit Hilfe einer aufgebrachten Menschenmenge Bartolini, den Fahrer der Vier, festnehmen kann. Auf der Wache packt dieser aus und schildert Basevi detailliert die Planungen zum Raub während seine Kumpanen, verfolgt von der Polente, versuchen ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Im Jahre 1968 war die Landschaft des italienischen Genrefilms außerhalb des wilden Westens noch recht beschaulich. Der Giallo war zwar schon präsent, doch bis zu seinen stärksten Zeiten dauerte es noch gut zwei Jahre als Dario Argento mit seinem Geheimnis der schwarzen Handschuhe die Welle ins Rolle brachte. An den Poliziotteschi war da noch fast gar nicht zu denken, immerhin hatte dieser seine Hochphase kurz nach dem abbebben der Giallowelle. Auch wenn für dieses Genre ebenfalls Anfang der 70er der Startschuss gegeben wurde. So kann man Die Banditen von Mailand zu einem der ganz frühen Vertreter der Bullen- und Gangsterfilme aus Bella Italia zählen, der gerade in den heutigen Zeiten einen sehr angenehmen, oldschooligen Charme versprüht. Wie die späteren Werke eines Fernando di Leo bietet der im englischen Sprachraum als The Violent Four bekannte Streifen eine gute Mischung aus Milieustudie und geradliniger Krimiunterhaltung, die, anders als bei di Leo, noch gemäßigter zu Werke geht. Auch hier werden zwar schon die garstigen Methoden der Gangster in den Vordergrund gerückt, doch die Brutalität hält im Vergleich mit den großen Werken aus den 70ern sich noch recht in Grenzen.
In Szene gesetzt wurde das ganze Geschehen von Carlo Lizzani. Der 1922 in Rom geborene Lizzani kam nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zum Film und machte es sich dort erstmal in der aufkeimenden Bewegung des Neorealismus gemütlich. So arbeitete er an Rossellinis Deutschland im Jahre Null (1948) mit und wurde mit der Mitwirkung am Buch von Bitterer Reis (1950) sogar für den Academy Award nominiert. Desweiteren steuerte er auch noch eine Sequenz zu Liebe in der Stadt (1953) bei und arbeitete hier mit Fellini und Antonioni zusammen. Nach und nach setzte man Lizzani dann auch für trivialere Werke ein, bis er ungefähr ab Mitte der 60er sich ganz der leichten Filmunterhaltung widmete. Startschuß bildete dabei der Thriller Spione unter sich aus dem Jahre 1965. Mit dem ein Jahr später entstandenen Eine Flut von Dollars lieferte er einen von insgesamt zwei Western ab. Der frühere Filmkritiker hüpfte nun also von Genre zu Genre und schaffte es dabei sogar den Schmuddelklassiker Straßenmädchen-Report (1975), von dem sogar eine Hardcorefassung angefertigt wurde, zu drehen. Wie wechselhaft das Werk von Lizzani ist, beweißt unter anderem auch die Tatsache, dass er auch für das Kriegsdrama Mussolini - Die letzten Tage (1974) verantwortlich ist. Weitere bekannte Werke von ihm wären noch der Abenteuerstreifen Verflucht in alle Ewigkeit (1969) mit Terence Hill in der Hauptrolle und der Bud Spencer-Streifen Der Sizilianer (1972).
Bei Die Banditen von Mailand merkt man dabei, wie gut Lizzani die Gratwanderung zwischen anspruchsvollerem und trivialen Kino gelang. So ist der Film zu Anfang ein semidokumentarisches Stück welches Tomas Milian, zur damaligen Zeit noch sichtlich jung und grün hinter den Ohren, als Kommissaren bei seiner Arbeit begleitet. Der meist unsichtbare Reporter beschäftigt sich dabei mit der Frage, woher die aufkommende Brutalität der jüngeren Gangstergeneration kommt. Mit einem Interview eines Ganoven der alten Garde und von Milian geschilderten Fallbeispielen wird gezeigt, dass den jüngeren Kriminellen eine gewisse Moral fehlt, die man damals hatte und so zum Beispiel vor Mord an Unschuldigen zurückschreckte. Lizzani beschäftigt sich hier nicht groß mit dem Vorstellen von gewissen Charakteren sondern wirft uns gleich in das Geschehen. So sind nach dem recht kurzen deutschen Credits die ersten Szenen, wie ein Mob von Menschen einen Gangster dingfest macht. Nach der angesprochenen dokumentarischen Abhandlung der Arbeit von Basevi wechselt man auf eine gewohntere Erzählstruktur. Der Einstieg, wie ein Pulk von Menschen einen Kriminellen stellt, wird wieder aufgenommen. Dieser sitzt nun auf der Polizei und schildert dem Kommissaren sowie dem Zuschauer in einer Rückblende, wie es zu dieser Situation zu Beginn überhaupt kommen konnte. Diese wird also auch nochmal mitten im Film aufgegriffen und erst dann erzählt Lizzani die mittlerweile begonnene Geschichte um eine Bande von Bankräubern zu Ende.
Ein schöner erzählerischer Kniff, der es so schafft, den Zuschauer bei Stange zu halten. Wobei man sich hier nicht über fehlende Spannung beklagen muss. Die Bildung des Teams, Ausarbeitung und Durchführung des Bankraubs ist ohnehin schon ein sehr toller Prozess, den Lizzani sorgfältig ausgearbeitet schildert. Somit rückt die Polizeiarbeit von Milian alias Herrn Basevi in den Hintergrund bzw. wird immer nur sehr kurz angeschnitten. Der später durch seine Rollen in Poliziotteschi wie Der Berserker (1974) oder Die Kröte (1978) viel gerühmte Milian bleibt hier noch recht verhalten. Zwar macht er seine Sache ordentlich, doch großartige mimische Akzente kann er anders als in seinen Rollen in den 70ern noch nicht setzen. Wobei der eigentliche Star von Die Banditen von Mailand auch eher Gian Maria Volonté ist. Sein Piero Cavallero ist ein einnehmender und großartig gemimter Charakter, der sich als vollkommen und perfekt ansieht. Die Überdosis Selbstvertrauen wird dem ganz schön gerissenen und skrupellosen Herrn letztendlich aber auch sein Untergang. Wobei er selbst nach dem Scheitern seines so herrlichen Plans immer noch so schön verblendet ist, dass er sich trotz Niederlage als halber Sieger sieht. Der 1994 leider schon verstorbene Volonté trumpft geradezu auf und überzeugt durch nuancierte Mimik und Spielfreude auf. Er scheint ein gescheiterter Revoluzzer zu sein, wie eine kurze Sequenz andeutet, als sein Waffenhändler anmerkt, dass er aus der Partei geschmissen wurde. Auch in dieser Phase seines Lebens scheint Cavallero zu sehr von seinem einnehmden Ego bestimmt gewesen zu sein.
Neben Volonté wird Die Banditen von Mailand vor allem durch seine Erzählstruktur getragen, die auch inmitten der Handlung von einigen kleinen dokumentarischen Stilelementen durchdrungen wird. Der Reporter vom Anfang fungiert hierbei als erklärender Zusatz, wenn Lizzani urplötzlich zwischen Zeitebenen springt oder kurz vor dem großen Banküberfall dem Zuschauer die späteren, unschuldigen Opfer vorstellt. Hinterher muss man gestehen, geht dem Film etwas die Luft aus. Da gingen Lizzani eventuell die Ideen und die Actionanteile aus. Zwar fliegt hier nicht so dolle die Kuh wie in späteren Poliziotteschi, trotzdem können die Mailänder Banditen auch hier überzeugen. Egal ob Schießereien oder Verfolgungsjagden, auch die Action paßt sich dem gehobenen Niveau des Werks an. Die Kamera hält frontal auf das Geschehen, welches von dynamischen und schnellen Schnittfolgen verstärkt wird. Unterstützt werden diese Szenen vom einem funky Soundtrack aus der Feder von Riz Ortolani, durchtränkt vom damaligen Zeitgeist aber hundertprozentig passend. Dieser schafft es dabei auch die härtesten Szenen des Films mit Stücken zu untermalen, die unheimlich catchy sind. Trotzdem sinkt der Spannungspegel im letzten Viertel rapide und Lizzani kann auch mit dem Ende nur noch schwer versöhnen. Wobei man hier immer noch realistischer und nicht so abgehoben erzählt, wie die Kollegen einige Jahre später.
Daher auch die recht ungeschönten, grobkörnigen und triste Bilder um den Grundton des Films einfach wie möglich zu halten. Hier und da gibt es eine tolle Einstellung oder Montage, doch an und für sich ist Die Banditen von Mailand ein sehr nüchterner Film. Es ist eine Momentaufnahme gescheiterter Figuren, die von einem besseren Leben träumen und dabei mit Piero Cavallero an einen gefährlichen Egomanen gerät, der um sich selbst und sein Ego zu befriedigen, den Weg der Kriminalität beschreitet. Seine Sucht im Mittelpunkt zu stehen, wird gerade durch das Ende nochmal sehr gut dargestellt. Er genießt das Bad in der Menge, ganz egal, welchen Hintergrund dieses überhaupt hat. Der Traum vom Reichtum und Aufmerksamkeit um seine Person ist überhaupt der ganze Antrieb hinter seinen Taten. Er ist rücksichtslos und voller Zynismus, den Lizzani in seinem Film sehr gut transportieren kann. Dieser schuf mit Die Banditen von Mailand eine kleine, frühe Perle des italienischen Polizei- bzw. Gangsterfilms, der mit einem gelungenen Anteil an Spannung und Action aufwarten kann und dabei sogar die Figurenzeichnung nicht außer acht läßt. Sie ist vielleicht nicht so richtig ausgearbeitet wie in anspruchsvolleren Autorenwerken, doch Lizzani kann seinen neorealistischen Hintergrund auch durch die Zeichnung des einfachen Bürgers im Film nicht verleugnen.
Einzig und allein das etwas sang- und klanglose Ende stellt hier einen kleinen Minuspunkt dar. Ansonst bietet Die Banditen von Mailand eine gute Mischung aus klassischem Kriminalfilm, der schon einige Elemente der späten Poliziotteschi in sich trägt und leichter Gesellschaftsbeobachtung bzw. -kritik. Zusammen mit einem erlesenen Cast, unter dem ein ebenfalls noch recht junger Ray Lovelock sowie die britische Darstellerin Margaret Lee zu finden sind, hat man es hier mit einem erlesenen Gangsterstreifen zu tun, der mehr als nur einen flüchtigen Blick wert ist.
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