Freitag, 26. April 2019

Frauen bis zum Wahnsinn gequält

Jüngere Semester der Internet-Cineastik schnauben vielleicht beim deutschen Verleihtitel des Ercoli-Debüts verachtend oder angestrengt ihrem Bildschirm entgegen. Der abgeklärte Schmutzfink, der gerne im Morast des Bahnhofskinos vor sich hin schimmelt, grinst milde. Fakt ist: so reißerisch und im Vergleich zum Originaltitel (der übersetzt so viel wie "Die verbotenen Fotos einer wohlhabenden Dame" bedeutet) weit von diesem abweicht, ist er die Quintessenz der Handlung. Erstaunt waren damalige Videothekenbesucher womöglich schon. Exploitative Elemente sucht man in dem Giallo genau so vergebens wie maskierte Mörder mit Lederhandschuhen und simplen Schlitzwerkzeugen als Waffe. In seinem ersten Spielfilm orientiert sich Luciano Ercoli zusammen mit Drehbuchautor Ernesto Gastaldi an Hitchock'schen Verhältnissen.

Die angesprochene gequälte Frau ist die mit dem reichen Geschäftsmann Peter verheiratete Minou, welche bei einem abendlichen Spaziergang von einem Fremden verfolgt und bedroht wird. Er erzählt ihr, dass ihr Mann ein Halunke und Mörder sei, bevor er überraschend von ihr ablässt. Ein paar Tage später erfährt Minou aus der Zeitung, dass ein wichtiger Geldgeber Peters unter mysteriösen Umständen gestorben ist. Während die Medien spekulieren, dass es Suizid war, meldet sich der Fremde telefonisch bei Minou und spielt ihr ein Tonband vor, auf dem zu hören ist, wie Peter den Mord an seinem Geldgeber plant. Um ihren geliebten Gatten zu schützen, bietet Minou dem Anrufer Geld, auf welches er bei der geplanten Übergabe pfeift. Ihm steht viel mehr die junge, eingeschüchterte Frau im Sinn, welche sich diesem gezwungen hingibt, damit Peter nicht ins Gefängnis muss. Geplagt vom schlechten Gewissen und unterstützt von ihrer besten Freundin Dominique, beichtet sie Peter einige Zeit später ihren Fehltritt. Das dadurch geweckte Misstrauen ihres Ehemanns wird verstärkt, als es so scheint, als seien die von Minou geschilderten Dinge nie geschehen.

Nicht die durchaus gekonnt umgesetzte Thriller-Handlung ist es, die Frauen bis zum Wahnsinn zu einem sehenswerten Giallo macht. Luciano Ercoli legte am bereits seit einiger Zeit fertiggestellten Script von Gastaldi Hand an und machte laut diesem daraus einen ganz anderen Film. Um endlich etwas greifbares für ein längst zugesagtes Filmprojekt dem Co-Produzenten und langjährigen Ercoli-Partner Alberto Pugliese vorzulegen, griff man auf dieses als Notlösung zurück um irgendwas in der Hand zu haben. Gastaldi selbst gefiel der fertige Film nicht. Ercolis Änderungen machten laut diesem aus einem bodenständigen und geradlinigen Thriller einen Suspense-Film mit unpassenden, erotischen Szenen. Die vorgenommenen Modifikationen erweisen sich mit Blick auf das fertige Produkt als Salz in der Suppe. Lebt der Film mehr von der Konzentration auf die beiden weiblichen Protagonistinnen und Minous seltsamer Beziehung zu ihrem Erpresser.

Als Thriller bleibt Frauen bis zum Wahnsinn gequält weitgehend gutklassig, wobei die Geschichte ohne Überraschungen auskommt und Kenner der Materie alsbald erahnen, in welche Richtung das ganze geht. Wäre da nicht der für diese Rolle ungeheuer gut besetzte Simon Andreu als namenlose Nemesis der verschreckten, unemanzipierten Minou, deren bisheriger Beruf eindeutig reiche, verwöhnte Ehefrau war. Ihr in der alten deutschen Fassung zu Beginn getilgter innerer Monolog darüber, wie sie Peter selbst an den Rande des Wahnsinns bringt, indem sie eine Affäre mit einem Fremden fingiert, lässt den Thriller zu einer in seichte Abgründe blickende Beziehungsanalyse werden. Dagmar Lassanders Charakter scheint von ihrer eigenen Rolle als Vorzeigepuppe für den geschäftigen Geschäftsherren gelangweilt zu sein. Im prunkvollen Käfig eingesperrt, übt Andreus Figur eine unleugbare Faszination auf sie aus. Ercoli würzt alles mit einer gehörigen Portion Sadoerotik nach. Die 50 Shades of Ercoli sprechen von einer unterdrückten Lust, die Andreu mit der blitzenden Spitze seiner das Dunkel der Szenerien zerschneidenden Spitze seines Stockmessers rauskitzelt.

Gleichzeitig stellt Ercoli mit Andreu dem aalglatten Peter ein Beispiel eines richtigen Mannes entgegen. Was sich die junge Frau insgeheim vom Ehemann wünscht, erfüllt ihr Erpresser in beängstigender Weise. Eine tiefe Leidenschaft, die wie Peters Geldgeber schon längst von der nächsten Brücke gesprungen zu sein scheint. Ercoli bewahrt bei allem die Contenance und rutscht niemals in die wunderlichen wie ekligen Gefilde des Machismo. Die männliche Allmachtsfantasie, sich einfach - gegen alle Regeln - zu nehmen, was man begiert, straft der Film im Finale, wenn auch der Erpresser seine gerechte Strafe bekommt. Ausgerechnet Peter darf dort erklären, wieso: dieser habe es zu sehr genossen, der "Perversling" zu sein. Komplettiert wird das Protagonisten-Quartett von der starken Dominique, einer durch und durch emanzipierten Frau in einer Zeit, in der dies erst langsam begann, in der breiten Gesellschaft anzukommen.

Ihre Figur ist nicht gänzlich frei von Klischees; man könnte Ercoli auch vorwerfen, dass diese nichts weiter als weitere Männerfantasie dargestellt wird, die anscheinend bisexuelle Vorlieben hat, ein Man-Eater ist, extravagante wie sexy Kleidung trägt und Pornographie konsumiert. Gleichzeitig ist sie losgelöst von allen männlichen Figuren. Ein positiver Gegenpol zu Andreus Sado-Charakter, der dessen Virilität aus der Ferne bekämpft. Durch ihre Unterstützung lernt Minou schließlich, gänzlich auf das angeblich starke Geschlecht zu verzichten. Diese Wandlung stellt die letzte Szene des Films dar, in welcher beide Frauen über Minous Überwindung beider Testosteronversprüher triumphieren und diese als neu geboren, emanzipiert aus der Geschichte herausgeht. Frauen bis zum Wahnsinn gequält wächst damit zu einem guten Beispiel für die seit wenigen Jahren aufgestellte Theorie heran, dass der Giallo in seinem Kern ein tief feministisches Genre ist. Das die Thriller-Handlung routiniert abgedreht wurde und wie üblich für das Genre mit einem tollen (Morricone-)Soundtrack und ebenso hübscher Fotografie wie ansehnlichen Sets aufwartet, ist hier mehr Dreingabe wie Hauptaugenmerk. Somit sollte man den reißerischen Titel im deutschsprachigen Raum vergessen und einen Blick wagen.

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