Montag, 5. Dezember 2022

Thriller - Ein unbarmherziger Film

Bo Arne Vibenius scheint diversen Berichten und seinem Auftreten in den letzten Jahren nach kein einfacher Mensch zu sein. Im Gegensatz dazu verfolgte er mit seinem bekanntesten Werk eine konkrete, klare Absicht: Thriller sollte nichts weniger als der kommerziellste Film aller Zeiten werden. Desillusioniert, frustriert und einer drohenden Pleite entgegenblickend - sein teils selbst finanzierter Debütfilm Hur Marie träffade Fredrik erhielt gute Kritiken, floppte aber an den Kinokassen - sollte diese Arbeit einzig dazu dienen, um schnelles Geld zu machen. In drei Tagen und Nächten hämmerte der Schwede auf seine Schreibmaschine ein, um ein Script zu schaffen, welches überaus karg die Geschichte von der traumatisierten Madeleine (in der englischen Synchronfassung benannte man sie in Frigga um) erzählt, die im Kindesalter von einem geistig beeinträchtigten Mann sexuell missbraucht wurde. Seitdem stumm, gerät sie Jahre später als junge Frau in die Fänge des schmierigen Zuhälters Tony, der sie an ihrem freien Tag auf dem Weg in die Stadt aufgabelt. 

Die Natürlichkeit der damals in ihrer Heimat als Covergirl einen gewissen Grad an Prominenz mit sich bringenden, bildhübschen Christina Lindberg verleiht ihrer Figur in der ersten Hälfte des Films eine äußerst glaubwürdig erscheinende Unschuld und Fragilität, wodurch ihr folgendes Martyrium gleich nochmal so hart auf das Publikum wirkt. Entgegen des ersten Eindrucks, den die Protagonistin hinterlässt, handelt es sich keineswegs um eine schwache Person. Von Tony alkoholisiert, heroinabhängig und letztendlich gefügig gemacht, soll sie für ihn künftig als Prostituierte arbeiten. Der trügerische Schein ihrer passiven Haltung verbirgt die kämpferische Seite der jungen Frau, die sich gegen ihr Schicksal wehrt, aber zunächst nichts gegen ihren Zuhälter ausrichten kann. Es muss ihr erst ein Auge ausgestochen werden, um sie vermeintlich zu brechen. Als Madeleine erfährt, dass von Tony in ihrem Namen verfasste, an ihre Eltern adressierte und zutiefst verletzende Briefe diese zuerst in Gram und dann in den Freitod trieben, schmiedet und verfolgt sie einen Plan, wie sie sich an ihren Peinigern rächen kann.

Mit der Absicht, das Leid seiner Hauptfigur so abstoßend wie nur möglich darzustellen - hierzu wurden u. a. die unfreiwilligen körperlichen Interaktionen seiner Protagonistin mit Hardcore-Inserts versehen - stieß Thriller bei Frauenrechtlerinnen zunächst auf wenig Gegenliebe. Mit häufig statischen Bildkomposition und einer in vielen Szenen starr verharrenden Narration verhilft Thriller nicht nur der Umschreibung Slowburn zu neuen Dimensionen. Eine vermeintlich schludrige Umsetzung mit Konzentration auf die Schauwerte bietet einerseits den Anlass, die Gesamtheit des Dargestellten als ultimative Exploitation zu benennen. Alles, was unnötig erscheint, wird ausgelassen; auch gängige filmische Standards. Vollste Aufmerksamkeit gilt dem quälenden Schicksal Madeleines, welches Vibenius den Zuschauerinnen und Zuschauern schonungslos vor Augen führt. Die dem schmalen Budget geschuldete minimalistische Ausgestaltung tut ihr übrigens, um Thriller eine niederschlagende Aura zu verleihen. Er mag nicht direkt darauf abzielen, doch seine auf das nötigste beschränkte Vorgehensweise hinterlässt wiederholt eine unangenehme Stimmung durch den Umstand, dass seine Bilder - mögen sie weiterhin sichtbar filmisch wirken - unterbewusst darauf abzielen, eine real wirkende Authentizität zu kreieren.

Ein Mechanismus, dem sich auch Meir Zarchi mit seinem I Spit On Your Grave bedient und u. a. durch den konsequenten Verzicht auf einen Soundtrack noch mehr hervorhebt. Anders als dieser ebenfalls berühmt-berüchtigte Vertreter seiner Gattung wurde Thriller - zu einem bestimmten Grad auch durch seine jahrelange geringe Verfügbarkeit befeuert - eine Art Ikone des Rape and Revenge-Films, die letztlich durch Erwähnungen von Quentin Tarantino und der an Lindbergs Rolle angelehnten Figur der Elle Driver aus Kill Bill Vol. 1 quasi "geadelt" wurde. Die ihm lange Zeit nachgesagte große Härte resultiert mehr aus seiner hochgradig minimalistischen Form; zumal mit Madeleines Transformation zum schwarzgewandeten Racheengel eine gestalterische Eigenheit in den Vordergrund rückt, die zunächst irritierend erscheint. Den Actionszenen wird jegliche Dynamik dadurch genommen, dass sie mit Kameras gedreht wurden, welche bis zu 3000 fps zuließen (die sich Vibenius bei seinem damaligen Arbeitgeber, einer Agentur für Werbefilme etc., lieh) und in episch anmutenden Zeitlupen präsentiert werden. Blutfontänen schweben im Bild, verharren still in der Luft und Madeleines Gegenschläge werden nahezu zelebriert. Der Einsatz dieses Stilmittels erscheint zuerst so exzessiv, dass selbst ein Enzo G. Castellari geplättet abgewunken hätte.

Andererseits kann man in Madeleines Metamorphose durchaus das sehen, was - wie auch ihre Darstellerin Christina Lindberg häufiger in Interviews erzählte - über die Jahre Feministinnen in ihr sahen: Geschlechterkampf und widersetzen gegen sexuelle Ausbeutung mit überaus drastischen Mitteln. Strukturell bedient sich Vibenius in seinem Script dem Western entliehenen Formeln. Der körperlichen und seelischen Misshandlungen ausgesetzte Mensch entledigt sich mit fortlaufender Zeit seiner Opferrolle, indem er stoisch sein gesetztes Ziel Rache zu nehmen verfolgt und mit aller Härte durchsetzt. Am Ende steht das unmittelbare Duell mit dem Antagonisten, dem für das Schicksal der Hauptfigur verantwortlichen Menschen. Im Finale von Thriller werden diese Westernbezüge in aller Deutlichkeit sichtbar, wenn sich Vibenius deutlich dessen Bildsprache bedient. Zugleich ist auch Madeleines Kleidung, überwiegend schwarze Kleidung, darunter ein bis zum Boden reichender Ledermantel und ein betont lässiger Umgang mit ihrer bevorzugten Waffe, zumindest eine Reminiszenz an den Italowestern. 

Die Abrechnung mit Tony - jener unausweichliche Endkampf - ist Madeleines herbeigesehnte Katharsis wie auch ein gewalttätig gesetztes Ausrufezeichen gegen jegliche Form von sexuell konnotierter Gewalt oder Unterdrückung gegenüber Frauen. Gegen die Degradierung zur lebendigen, fleischlichen Ware, was Frauen für Tony ohne Zweifel darstellen, wird radikal vorgegangen. Die Protagonistin wächst zum Symbol eines lauten, zornigen Aktivismus heran, während Tony Stellvertreter einer ganzen Generation von Männern wird. Wobei festzustellen ist, dass Thriller keine einzige positiv dargestellte männliche Figur besitzt. Selbst ein aus subjektiver Kamera wahrgenommener Blick des Vaters auf seine Tochter birgt etwas beunruhigendes in sich, der - wenn auch nicht ausformuliert bzw. bestätigt - schlimmes ahnen lässt. Aus der stummen, geschundenen Frau wird die lärmende Stimme eines radikaleren Feminismus, bei dem Gewalt zu Gegengewalt führt. Eine womöglich gewagte These oder Interpretation; zeitgeschichtlich dennoch möglich und nicht von vornherein gänzlich auszuschließen. 

Die Auswirkungen der 68er waren noch deutlich im Bewusstsein der Menschen und könnten zumindest unterbewusst Vibenius beeinflusst haben. Für diesen selbst wahrscheinlich ein trauriger Umstand, dass seine Vision und abgelieferte Version eines vordergründig hundsgemeinen Kommerzfilms diese sicherlich nicht beabsichtigte Lesart besitzt. Unerheblich, ob man in Thriller einen verkappten, pro-feministischen Film oder einen schmutzigen und elendig langsam erzählten Rache-Thriller sehen mag: durch seine eigenwillige Umsetzung bietet der Film ein faszinierendes und interessantes Filmerlebnis, welches durch die Vita seines Schöpfers gewissermaßen einen Kreis im Bezug auf den Ursprung der Rape and Revenge-Filme schließt. Vibenius, eigenen Angaben nach einst einer der jüngsten Absolventen der schwedischen Filmschule, begann seine Karriere als Unit Manager bei den Filmen Persona und Die Stunde des Wolfs, für deren Regie sich Ingmar Bergmann verantwortlich zeigte. Dessen Die Jungfrauenquelle legte bekanntermaßen einen ersten Grundstein für diese Spielart des Exploitationfilms und diente als inhaltlich starke Inspirationsquelle für The Last House On The Left, welcher gerade mal ein Jahr alt war, als Thriller das Licht der Kinowelt erblickte. 

Mit diesen Ambitionen in die Filmwelt gestartet, gelang es dem Schweden durch seine Notlage nicht unbedingt einen der besten, aber einen der interessantesten Werke im nicht konkret greifbaren Wust der Zelluloidwerke um Rache und Vergewaltigung abzuliefern. Manchmal fühlt sich Thriller sehr nach Theorie an, die viele Merkmale eines Exploitationfilms besitzt und trotzdem weit weg von seiner Prämisse positioniert ist. Er verlangt von seinem Publikum ein Stück Arbeit ab ihm entgegen zu gehen und sich auf ihn einzulassen. Nicht jeder mag dazu gewillt sein; wer filmisch genug freigeistig ist, um einen in den letzten Jahren (auch durch Leute wie Tarantino) eine Renaissance erlebenden Film sehen möchten, welcher hierdurch einen kleinen Platz in der wenn auch etwas abseitigen Pop-Kultur einnehmen konnte, der sollte dies unbedingt tun. So einfach Thriller auch gestrickt sein mag, so undurchsichtig und faszinierend gibt er sich dem Zuschauer gegenüber, der nach dessen Ende entweder angestrengt abwinkt oder ihn gerne in seinem Geiste nachhallen lässt. Nach den albernen Streitigkeiten mit dem US-Label Synapse Films, die Vibenius des Diebstahls bezichtigt wurden, zumindest ein positives wenn auch andersartiges Vermächtnis, welches seit einigen Monaten sogar als UHD vom amerikanischen Boutique-Label Vinegar Syndrome erhältlich ist.


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