Freitag, 12. Juni 2009

Kaliber 38 - Genau zwischen die Augen


Während einer Razzia und einem damit verbundenen Feuergefecht zwischen der Polizei und den bösen Buben erschießt der leitende Kommisar Vanni den Bruder des gefürchteten Gangsterbosses Marsigliese. Dieser rächt sich umgehend und läßt die Frau des Kommisaren kaltblütig erschießen. Nach diesem Vorfall erhält Vanni vom Polizeipräsidenten persönlich das Versprechen, das seine Forderungen endlich erfüllt werden: die Bildung einer Spezialeinheit, die mit Motorrädern unterwegs und Revolvern des Kalibers 38 bewaffnet sind. Zusammen mit seinen Mannen ermittelt Vanni im Fall von gut 70 Tonnen Dynamit, die einfach so von einer Baustelle gestohlen worden sind. Während dieser noch rausfindet, wer was mit dem explosiven Diebesgut vorhat, plant Marsigliese woanders seinen nächsten Coup: nachdem zwei seiner Komplizen aus der Haft befreit wurden, plant er, die Stadt Turin um fünf Milliarden Lira zu erpressen und seine Forderungen mit wortwörtlich durchschlagenden Mitteln durchzusetzen.
Gerde mal 59 Jahre war der italienische Regisseur Massimo Dallamano alt, als er leider im Jahre 1976 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Auf sein Konto gehen zwölf Filme als Regisseur, der schon in den 40er Jahren in der Filmbranche als Kameramann begann. Unter diesem Dutzend befinden sich unter anderem das Erotikdrama Venus im Pelz, der Italowestern Bandidos oder die Oscar Wilde-Verfilmung Das Bildnis des Dorian Gray welches mit dem exzentrischen Mimen Helmut Berger sowie weiteren damaligen großen und bekannten Namen aufwarten kann. Auch für den Genrefan hat Dallamano sehr gute Filme in Petto. Dazu gehören unter anderem Der Tod trägt schwarzes Leder, eine spannende Mixtur aus Poliziottesco und Giallo mit brisantem Thema oder der reinrassige, hochgelobte Giallo What Have They Done To Solange?, der unter anderem durch die Mitwirkung Joachim Fuchsbergers als Kommisar vom deutschen Verleih unter dem Titel Das Geheimnis der grünen Stecknadel als neuer Film der damals beliebten Edgar Wallace-Verfilmungen beworben wurde. Kaliber 38 ist der letzte Film Dallamanos.

Mitte der 70er war die Welle der Gialli langsam am ausklingen, dafür ballerten sich allerdings schon zu Hauf die harten Hunde der Polizei ihre Wege über die Leinwände der italienischen Lichtspielhäuser, um noch härtere Gangsterhunde hinter Schloss und Riegel zu bringen. Und dafür, das es Dallamanos erster und leider auch letzter Poliziottesco ist, beherrscht der gebürtige Mailänder das Genre mehr als nur gut und schickt den Zuschauer auf eine spannende Jagd des harten und unnachgiebigen Kommisaren Vanni der mit allen legalen und weniger legalen Mitteln versucht, seinem zum Erzfeind mutierten Gegner Marsigliese den garaus zu machen. Dargestellt wird er vom Franzosen Marcel Bozzuffi, der den sturköpfigen Polizisten mit minimalem, aber dafür wirkungsvollem Spiel mimt. Der durch seine persönlichen Motive der Rache verstärkte Ehrgeiz seiner Figur, der unnachgiebig sein Ziel verfolgt wird dabei allerdings nicht als überharter Vollstrecker wie in anderen italienischen Polizeifilmen dargestellt, sondern ist trotz des ihn verfolgenden, harten Schicksalsschlag auch ein cooler Bulle, hart aber gerecht, der gerne mal - wenn auch selten - einen lockeren Spruch über die Lippen kommen läßt. Einer der vielen Standardcharaktere in der Figurenzeichnung des Subgenres, die allerdings schnell die Sympathien des Zuschauers gewinnt.

Da wird mit allen Mitteln versucht, die Gerechtigkeit siegen zu lassen, auch wenn die Mittel zur Erreichung derer selbst ab und zu etwas Zweifelhaft rüberkommen. Gerade die Kumpanen Vannis, seine Spezialeinheit handeln nach dem beliebten Actionhelden-Motto "erst schießen - dann fragen" und sind Protagonisten vieler erlesener und gut umgesetzter Actionszenen. Überhaupt läßt Dallamano dem Zuschauer in Kaliber 38 kaum Zeit zum Nachdenken, erzählt er seine Geschichte doch mit ordentlich Tempo und Dynamik, das kaum Zeit zum Durchatmen ist. Leise Momente kennt der Film nicht, doch diese wären hier auch fehl am Platz. Turin verwandelt sich zu einem übergroßen Spielplatz für große Jungs, die mit ihren Motorrädern und flotten Flitzern durch die Straßen brausen und dabei auch noch böse Jungs jagen dürfen. Der Actionschinken wird in groben Stücken und nicht in fein geschnittenen Scheiben aufgetischt und mundet gerade durch seine herzhaft direkte Art.

Auch bei der Figurenzeichnung selbst hält sich Dallamano mit seinen drei Co-Autoren nicht allzu lange am Stand der feinen Details auf. Mit groben Pinselstrichen wird hier einfache schwarz-weiß-Malerei betrieben, die eigentlich nur zwei Schubladen zuläßt: gut und böse. Dazwischen gibt es nichts, nimmt man mal Sandra, die Freundin von Marsiglieses Komplize Guido, aus. Diese wird durch ihren Freund in die Machenschaften seines Chefs hineingezogen und bekommt schnell Gewissensbisse als sie merkt, was der Oberbösewicht des Streifens vor hat und in welche Bredouille gebracht hat. Das sie dafür früher oder später einen für Marsigliese angemessenen Preis bezahlen muss, versteht sich von selbst. Überhaupt: noch härter als Vanni auf der Seite der guten ist der böse Gangster, der kühl berechnend und gewissenlos auf die hübsche Summe der fünf Milliarden Lira hinarbeitet. Dargestellt wird er vom kroatisch-stämmigen Kultmimen Ivan Rassimov, der in so gut wie jedem Genre zu Hause war, egal ob Giallo, Horror, Italowestern oder auch den berüchtigten Kannibalenfilmen. Bei letzterem kann er sich sogar rühmen, im allerersten Werk Mondo Cannibale mitgespielt zu haben. Als Marsigliese überzeugt der charismatische Rassimov so gut, das er seinem Gegenspieler Vanni ab und an sogar die Schau stiehlt. Trotz aller Gräueltaten, die auf sein Konto gehen, so wirklich kann man sich seiner Person nicht entziehen. Die Antipathie ist da, doch durch den gut aufgelegten Rassimov, der sichtlich Freude an der Verkörperung dieser fiesen Type hatte, fiebert man sowohl mit Vanni als auch mit Marsigliese mit.

Doch der Gewinner in diesem Spiel auf Leben und Tod kann nur auf der Seite der guten zu finden sein. Kaliber 38 ist bestes Beispiel für die harte italienische Mär vom harten Polizisten-Supermann, der so gut wie jede Gefahr überwinden kann und selbst in der brenzligsten Situationen einen letzten und rettenden Einfall hat. Das da der Realismus auf der Strecke bleibt, ist logisch. Wunderbar ist hier zum Beispiel Vannis hetzen durch die Stadt, bei dem er mit seinem Kleinwagen sogar über einen kompletten leeren Güterzug bzw. dessen Ladefläche brettert um am Ende von dieser angekommen, höchst lässig wieder auf die Straße zurückzukehren. Es funktioniert aber, was einem hier Dallamano an Unglaublich- und Unmöglichkeiten auftischt. Man kommt auf den Geschmack, lechzt nach mehr und beinahe im Minutentakt wird einem weiterhin ein üppiger Nachschlag auf den Tisch gezaubert. Das entpuppt sich dann vor allem als ein Mahl, das ausgiebig mit Spannung gewürzt wurde, an manchen stellen hätte man allerdings auch ruhig nochmal etwas nachwürzen können.

Doch die Dynamik der Umsetzung entschädigt und schnell findet man seinen Platz in diesem Universum, einer einzig großen Männerfantasie, die mit coolen Helden, furioser Action, gnadenlosen Bösewichten und einigen lockeren Sprüchen so manchen heimlichen, feuchten Traum des männlichen Zuschauers befriedigt. Überraschend ist nur etwas, das gerade die sexuelle Komponente, zu der die Italiener in ihren Genreproduktionen auch sehr oft und gerne griffen, ausgeklammert wurde. In der Welt der Vannis und Marsiglieses ist kein Platz für Frauen, so das es mit Carole André auch wirklich nur eine weibliche Mimin gibt, die eine größere Rolle einnimmt. Und selbst für diese ist irgendwann kein Platz mehr. Was bleibt ist ein furioser und wilder Poliziottesco mit einigen Härten, der aber durch seinen flotten Erzählstil und einer weitgehend spannenden Umsetzung der Geschichte, die so einige Unglaublichkeiten bereit hält, punktet und über den ein ebenso aufstachelnder wie ohriger Soundtrack von Stelvio Cipriani schwebt. Dieser hat mit der Musik für Kaliber 38 wohl einen seiner besten Beiträge zu Filmen überhaupt geschrieben. Wer auf hartes und schnell erzähltes Männerkino aus dem Italien der 70er steht, der greife hier bedenkenlos zu. Es erwartet ihn ein wirklich sehr guter Vertreter der damaligen Poliziottesco-Welle.
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