Montag, 25. März 2013

Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra

Männer, deren Körpern man ein Leben im Wohlstand ansieht. Zufrieden. Beinahe schon mit einem gewissen Hauch Dekadenz in der Luft frönen sie der Kultivierung ihrer Leiber. Beiläufige, nichtige Unterhaltungen. Kurze Sätze werden hin und her gewechselt. Plötzlich geht alles ganz schnell: aus einem harmlosen Dialog heraus bricht die Gewalt herein. Die lockere Stimmung bricht eben so schnell zusammen wie die toten Leiber der Herren, die es sich gut gehen lassen. Eine Episode aus dem Alltag der kleinen Fische im großen Teich der illegalen Machenschaften. Tagwerk der Camorra und Beginn von Matteo Garrones Gomorrha, der - wie es der Untertitel auch schon verrät - eine Reise in das Reich der Camorra ist.

Der Film selbst ist eine Adaption des Bestsellers von Roberto Saviano. Dieser hat darin seine eigenen Erfahrungen mit fiktiven Einzelschicksalen und Geschichten vermengt und damit eine riesige Bombe platzen lassen. In doppeltem Sinne: nicht nur, dass das Buch an die Spitze so einiger Bestsellerlisten gesprengt wurde, die Camorra selbst hat dadurch natürlich auch Wind von dem Buch bekommen. Mittlerweile wechselt der Buchautor öfter seinen Wohnort und lebt unter ständigem Polizeischutz, da die Organisation Morddrohungen in Richtung Saviano ausgesprochen hat. Brisantes und schwer wiegendes Material, dass in dem Buch gesammelt wurde. Kein leichter Stoff.

Dies lässt sich so auch über den Film sagen. Garrone, übrigens nicht mit dem Exploitation-Regisseur Sergio Garrone verwandt, pickt aus dem Wust an kleinen Geschichten, welche das Buch bietet, fünf heraus und lässt die Geschichten parallel nebeneinander herlaufen. Da wäre der gerade mal 14-jährige Toto, der schon immer davon träumt, in der Camorra aufgenommen zu werden und sich den in seinem Wohnviertel Männern anbietet, Jobs für diese zu erledigen. Als nächstes wäre da der blauäugige Student Roberto, der als frischer Assistent von Franco mit diesem um die nicht ganz so saubere Beseitigung von Giftmüll kümmert. Der Schneider Pasquale wiederum fertigt für seinen Boss teure Designerkleidung, allerdings kommt für ihn selbst dabei kaum etwas rum. Als er ein Angebot von einem chinesischen Kleidungsfabrikanten bekommt, zögert er erst, um dann doch Nachtschichten für diesen zu schieben. Don Ciro arbeitet als Geldbote und Buchhalter und überbringt den Angehörigen Inhaftierter die Abfindungen und rutscht in einen blutigen Bandenkrieg. Zuguterletzt gibt es auch noch die beiden blauäugigen Ciro und Marco, die offensichtlich zu oft de Palmas Scarface gesehen haben. Sie träumen vom schnellen Aufstieg in der Gangsterwelt und legen sich in ihrem jugendlichen Leichtsinn mit einem Boss vor Ort an.

Während Hollywood in dem genannten Streifen, von dem Ciro und Marco zu Beginn schwärmen und diesen in runtergekommenen Hallen nachspielen, oder auch anderen Mafia-Epen wie Der Pate (1972) oder Goodfellas (1990) in gewisser Weise das Handeln der "ehrenwerten Organisation" glorifiziert und vor allem den Aufstieg einzelner oder eines Clans zeigt, bleibt Garrone auf dem Boden. Gomorrha bleibt sehr nüchtern und trist. Genau so trist wie die Armenviertel, in denen er spielt und dadurch faszinierende Bilder einfängt. Der zum größten Teil mit Laiendarstellern besetzte Film gewinnt dadurch einen starken Touch von Authentizität, verstärkt durch den Verzicht auf einen richtigen Score. Seinen Stil kann man ohne große Überlegungen semi-dokumentarisch nennen. Garrone springt in eine traurig-alltägliche Episode zu Beginn und bleibt dieser Erzählart treu. Wie bereits angesprochen, werden die Gesichten nebeneinander her geschildert und die Handlungsstränge laufen auch am Ende nicht ineinander über. Damit erschwert er dem Zuschauer aber den Einstieg in den Film.

Es braucht eine gewisse Zeit bis man sich einen Überblick in den verschiedenen Geschichten verschafft hat. Die Sprünge zwischen diesen sind nicht allzu hart und sprunghaft, aber der Erzählfluss ist bildlich gesprochen sehr zähflüssig. So richtig kann sich Gomorrha diesem nicht entledigen. Hat man erstmal Zugang zum Film gefunden, kann man sich aber auch nicht dieser faszinierenden Welt entledigen. Vor allem wird nichts beschönigt. Eher schonungslos wird hier das Schicksal der Protagonisten in den verschiedenen Stories geschildert und bei einigen weiß man schon recht schnell, dass dies nicht gerade schön enden wird. Greifbar werden dabei nur wenige Figuren. Verstörend. Schockierend. Es macht nachdenklich. Der Regisseur lässt den Zuschauer mit seinen Empfindungen, die sich während dem Schauen manifestieren, allein. Er kommentiert nicht. Er zeigt.

Das allerdings auch in einem flüchtigen Stil, als wolle er ansatzweise all das, was das Buch seinen Lesern näherbringt, auch mit seinem Film transportieren. Es misslingt. Die Handlungen und Beweggründe der Hauptfiguren werden nach und nach aufgedeckt. Es zeigt sich aus deren Handlungen und den Dialogen. Garrone geht nicht in die Tiefe. Eine Tiefe, nach der er trachtet, die er auch gerne mit Gomorrha transportieren würde. Als wolle er die gesamte Komplexität des Buches durch kleine Stücke, die er aus diesen gezogen und für die Leinwand adaptiert hat, dadurch in seinen Film bringen. Nur diese kleinen Stücke können dies nicht tragen und leider auch nie ganz bewerkstelligen. Trotz allem ist Gomorrha allerdings nicht missglückt. In seinen besten Momenten ist der Film ein aufwühlender Blick auf die Machenschaften der Camorra. Vollkommen ohne Kitsch oder Übertreibungen.

Es ist nur Schade, dass der Zuschauer sich eben auch etwas verloren im Moloch der napolitanischen Kleinkriminellen zurückläßt. Es sind eben nur Episoden, die der Film schildert. Selten, dass ein Werk daran krankt, dass es zu nüchtern erzählt wird. Sicherlich muss nicht sensationsgeil im Boulevard-Stil auf den "krassen Scheiß" der im südlichen Italien vor sich geht, hingewiesen werden. Nur vermag Gomorrha es nicht, im Endeffekt komplett zu bewegen. Eine gute Dokumentation schafft dies, gut erzählte Filme ebenfalls. Ein ernstes Thema sollte natürlich auch ernsthaftig angepackt werden. Das Script wirkt etwas verloren, auch wenn es sehr sauber und technisch ansprechend umgesetzt wurde. Gerade seine Reduziertheit lässt ihn auch wieder gewinnen. Und doch: einen richtig guten, zufriedenstellenden Eindruck kann er nicht hinterlassen. Überdurchschnittlich. Gutklassig. Worte, die für Gomorrha zutreffen. Etwas mehr Biss hätte ihm - gerade bei so einem Thema - doch gut getan. Überkluges Beobachterkino. In seinen besten Momenten so gut wie italienische Politstreifen aus den 70ern. Aber auch diese beinhalteten genau das, was Gomorrha gut tun würde. Etwas mehr Emotion. Das Porträt über die kleinsten und untersten in der Mafiahierarchie weiß dennoch zu gefallen.
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