Er wolle die Zuschauer mit seinen Filmen in ein dunkles Universum entführen und das diese so wirken wie Bücher, so Xavier Gens in einem Interview mit dem Horror-Magazin Virus. Der Franzose ist demnach ein vielseitiger, flexibler Auteur, dessen Debüt Frontier(s) zu Beginn der einsetzenden New Wave of French Horror ein unbequemes, vor Gewalt überlaufender, filmischer Leberhaken darstellt. Seitdem streckte er überall hin seine Fühler aus, löste sich nach der Spiele-Adaption Hitman aus den Armen der schmierigen Krake Hollywood und ist zurück im überschaubaren (B-)Filmgeschäft Europas. Sein neuester Film Cold Skin fühlt sich, gemessen an den Absichten des Franzosen, am nächsten nach Literatur an. Überzogen mit einer feinen Staubschicht hat man es mit einem Werk zwischen erster Abenteuerbelletristik á la Jules Verne und frühen Geschichten Lovecrafts (der schon wieder!) zu tun.
Der erste Weltkrieg steht vor der Tür, tritt nahezu schon in diese ein und den Wetterbeobachter Friend zieht es weg von seinen vergangenen, dem Zuschauer verborgenen Dämonen auf ein felsiges, fernab der bekannten Schiffsrouten liegendes Eiland. Die Hütte seines Vorgängers findet man verwüstet vor, von diesem selbst fehlt jede Spur. Einzig der wettergegerbte und verbraucht aussehende Leuchtturmwärter Gruner ist in seinem Turm aufzufinden, kann aber nicht mit einer brauchbaren Antwort über den Verbleib des vorigen Wetteroffiziers dienen. In der ersten Nacht wird Friend Zeuge eines Angriffs seltsamer Wesen auf seine Hütte, die seinen Beobachtungen nach aus dem Meer zu kommen scheinen. Weitere Antworten auf seine Fragen dahingehend suchend, ist ihm Gruner in dieser Sache ebenfalls wenig behilflich. Dafür entdeckt der Wetterbeobachter, dass der Leuchtturmwärter sich eines dieser Wesen als eine Art Haustier hält. Nach weiteren, heftigeren Angriffswellen in der Nacht verschanzt sich Friend im Leuchtturm und muss mit dem einzelgängerischen Gruner eine Zweckgemeinschaft bilden und sich den Meereskreaturen erwehren.
Die Angst und der Kampf gegen dieses Unbekannte, das die beiden von der restlichen Außenwelt isolierten Männer immer wieder angreift, ist ganz offensichtlich als Allegorie auf Rassismus und die menschliche Furcht vor dem Fremden zu verstehen. Auf der einen Seite hat man Gruner, der unüberwindbare denkerische Grenzen in sein Wesen gezogen hat, die Meereswesen zwischen Humanoid und Fisch lieber ausrottet oder die Aneris getaufte und von ihm im Leuchtturm gehaltene Kreatur für seine Zwecke missbraucht. Das geht sogar so weit, dass er seine sexuellen Bedürfnisse mit dieser befriedigt. Inselneuankömmling Friend scheint durch den Überraschungseffekt des ersten Angriffs ebenfalls abgestoßen von den Wesen zu sein, doch verfolgt er genauso angewidert Gruners Umgang mit Aneris. Der aufkeimende Konflikt der so unterschiedlichen Herren breitet sich weit über den schaurigen Teil von Gens Film. Altmodische Dramaturgie leuchtet in das fahle Dunkel der Erzählung, die filmisch nicht nur wie ein Buch aus alten Tagen wirkt, sondern eine Buchverfilmung darstellt.
Das Drehbuch scheint sich nahe an die Vorlage, Albert Sánchez Piñols Roman "Im Rausch der Stille", zu halten, erweitert und ändert diese der filmischen Umsetzung geschuldet mit Gefühl und Sinn, anstatt den literarischen Kosmos gänzlich umzukrempeln. Gens setzt dies routiniert um und anders als bei seinem Kollegen Pascal Laugier, den man leider immer irgendwo immer bis zu einem gewissen Punkt an seinem Überwerk Martyrs misst, schiebt man die Erinnerungen und etwaig versuchte Vergleiche zu dessen Debüt alsbald zur Seite. Die stilvolle und atmosphärische Romanverfilmung erzählt lieber breit den Konflikt zweier verloren zu scheinender Männer, die auf der Insel, ihrer persönlichen Hölle, gegen sich selbst und monströse Wesen aus dem Wasser kämpfen. Letztgenannter Kampf ist trotz der niedrigen Freigabe in Deutschland mit überraschend brutalen Spitzen ausgestattet, wobei diese den Fluss der Geschichte niemals brechen. Einzig die sattsam bekannte Struktur dieser verwehrt Cold Skin, ganz beim Zuschauer anzukommen. Die karge Landschaft, Sinnbild für das Innere der beiden Protagonisten, steht gleichzeitig für den abgegrasten Weg der Erzählart.
Generisch schreitet man auf den dramatischen Showdown zu, zieht die Schlinge des Konflikts zwischen Gruner und Friend enger zusammen und bringt erwartbar die Annäherung an die fischigen Humanoiden von Seiten des aufgeschlosseneren, progressiveren Inselbewohners. Die Nähe an der Vorlage kommt Cold Skin leider in diesem Punkt nicht zum Guten, bleibt der Film dadurch ein keineswegs schlechter, aber nicht komplett überzeugender Hybrid aus seichtem Abenteuer und Horrordramatik, dessen im Wesen der Menschen und seiner Figur Gruner verwurzelter Horror über die unbegründete Furcht und dem Hass auf Fremdes noch heutzutage weitaus erschreckender ist als irgendwelche Monster. Die altbekannte Frage, wer denn nun das wirkliche Monster letztenendes ist, wird ohne neu gewonnene Erkenntnisse beantwortet. Einzig der düster gestimmte, mit dem Ende einsetzende Kreislauf schlägt einen Bezug auf die betrübende wie wahre Erkenntnis, dass Fremden- und Rassenhass, selbst beim engagiertesten Kampf dagegen, leider nie komplett ausgemerzt werden kann. Monster (wie diese) wird es wohl leider immer geben.
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