Ein Henker geht um. Von hünenhafter Gestalt, mit mittelalterlicher Gewandung und einem Galgenstrick in der Hand jagt er vier Jugendliche durch dunkle Gänge ihrer Schule. Dieser einzelne Satz reicht beinahe aus, um die (Grund-)Geschichte von The Gallows zu erzählen. Anders als der Henker, welcher seinen Strick effektiv einzusetzen weiß, sind die Jugendlichen mit Kameras bewaffnet: ein Camcorder und ein Smartphone sind auserkoren, das Schicksal von Reese, Pfeifer, Ryan und Cassidy einzufangen. Im Prolog des Films sehen wir ein schreckliches Ereignis, welches sich vor mehr als zwanzig Jahren ereignete. Der Zuschauer sieht dies als Ausschnitt, aufgefangen von einem alten Camcorder. Während einer Schulaufführung des Theaterstücks "The Gallows" löst sich auf dem Galgen auf der Bühne die Falltür und der Hauptdarsteller wird vor den Augen von Mitschülern und Eltern unfreiwillig gehängt. Der tragische Unfall führt dazu, dass das Stück fortan nicht mehr an der Schule aufgeführt wird.
Sinnbildlich zieht sich die Schlinge auch für den Found Footage-Horrorfilm zu. So richtig Schwung kommt nicht mehr in das Genre und wirklich meisterliche Genrebeiträge wie [REC] oder Cloverfield haben einige Jahre auf dem Buckel. Auch Projekte wie die V/H/S-Reihe, deren Filme zwar nicht perfekt, aber interessant aufgezogen sind, fehlen. Es bleiben Einträge wie der leicht überdurchschnittliche und doch schnell vergessene Katakomben, die unnötige Fortsetzung Blair Witch oder der weitestgehend mit schlechten Kritiken (und einem fürchterlichen deutschen Untertitel) versehene Gallows. Ein oder zwei weitere Flops mehr werden dem Subgenre zumindest auf großer Studiobühne das Genick brechen. Bis auf den gemeinsamen Plan, Nachts in die Schule einzubrechen um die Kulissen für die anstehende Aufführung des Theaterstücks The Gallows zu zerstören, damit der schauspielerisch wenig begabte Reese sich nicht blamieren muss, erfahren wir wenig von den Protagonisten. Auf der anderen Seite ist Pfeifer, heimlicher Schwarm von Reese, für die dieser überhaupt erst den Football sausen ließ und sich dem Amateur-Theater widmete. Eine kaputte, nicht verschließbare Tür verschafft ihnen Eintritt ins Gebäude, doch werden sie während ihrer Zerstörungswut von Pfeifer erwischt.
Der aufkommende Streit unter den Jugendlichen wird schnell vergessen, als sie bemerken, dass sie nicht mehr aus dem Schulgebäude rauskommen. Selbst die kaputte Türe ist plötzlich abgeschlossen. Alles weitere ist nicht mehr groß erwähnenswert. Gallows spult mit einem kleinen Gespür für Atmosphäre gängige Horrorfilmmuster ab und präsentiert uns dabei ansehnliche junge Menschen, die in vorhersehbare Szenarien geworfen werden. Für den Moment gruselt es; einen Augenschlag später herrscht das übliche Gewimmel auf der Leinwand, wie man es von auf ein jugendliches Publikum zugeschnittenen Horrorfilmen kennt. Da werden die zur Seite geschobenen Konflikte vom Anfang wieder rausgeholt, ad acta gelegt für einen weiteren Schockeffekt der dazu führt, dass die vier Hauptfiguren panisch durch das Schulgebäude rennen. In jugendliche Angst gepackte, panisch hin und her schwankende Kamerabilder konnten allerdings schon in Blair Witch Project keine Schockzustände hervorbringen. Den Umgang mit diesen speziellen Regeln des Found Footage, den Film narrativ gut voranzubringen und ihm den Charakter eines bruchstückhaften Homevideos, einer nebenher mitgefilmten Chronik des Schreckens zu verbinden, schaffen nicht viele.
Gallows ist da eben weniger mutig, mehr durchkalkuliert und durch und durch Mainstream. Die besten Szenen gibt es in der ersten Hälfte, wenn die ersten seltsamen Geschehnisse den Protagonisten beinahe verborgen bleiben, oder sie sich die bewusst erlebten Dinge nicht erklären können. Doch dem amerikanischen Publikum muss man leider wohl alles vorkauen, zeigen und all' die unerklärlichen Dinge begreiflich machen. Szenen werden wiederholt aus anderer Perspektive, von einer anderen Quelle gefilmt, wiederholt und das zuerst nicht sichtbare, was den Reiz des Schreckens ausmachte, vor die Kamera gezerrt. Found Footage ist auch Aussparung, weil hier gerade eben nicht überall am Geschehen gefilmt werden kann. Gallows ist durch diesen Quellen-/Kamerawechsel - zu Beginn mit einer Einblendung erklärt, dass wir Beweismaterial der Polizei sehen - viel zu filmisch in diesen Momenten. Der ach so "schlaue" Kniff der Autoren, dem tumben US-Publikum hier den Erklärbär, getarnt als zwei Videoquellen, unterzuschieben, schlägt fehl. Als die zuerst unsichtbare Gefahrenquelle in Gestalt eines Henkers materialisiert, wirkt der Film darüberhinaus unentschlossen. Dem übernatürlichen Treiben weichen Szenen, wie man sie aus Slashern kennt.
Da entpuppt sich der Film als durchkonzipierter Durchschnitt, darauf ausgelegt, einem halb aufs Handy, halb auf die Leinwand schielende Teeniepublikum einige knallende, schockende Momente um die Ohren zu hauen und gleichzeitig bei genügend Erfolg ein etwaiges Horror-Franchise aufzubauen. Den schlechten Kritiken und den mauen Einspielergebnissen sei Dank, dass Gallows (wahrscheinlich) nicht in Serie geht. Es wäre ein Franchise unter vielen, wie der Ursprungsfilm ohne eigene Seele, ohne komplett interessante Hintergrundgeschichte, ohne wirkliche packenden Szene und ohne das Gefühl, dass man trotz aller Austauschbarkeit sich wenigstens gut unterhalten gefühlt hat. An flache Figuren, die so austauschbar sind wie ein 10er-Pack Socken oder Schlüpfer eines Textildiscounters, hat sich der Horrorfilmfan über die Jahre gewöhnt. Sicher auch an wenig innovative Handlungen. Die wenigsten dürften einem so durchkalkulierten, wenig eigenständigen Film etwas abgewinnen. Bis auf die ordentliche erste Hälfte und einem ebenfalls absehbaren, aber in seiner ganzen eigenartigen Darstellung schön seltsamen Ende ist Gallows die Art von Horror, der so schnell aus den Köpfen des Zuschauers verschwindet wie er aus den Kinos verschwand.
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