Ich habe es bereits in meiner Besprechung zu Die neunschwänzige Katze, dem mittleren Teil von Argentos sogenannter Tier-Trilogie, angesprochen: es macht Freude, sich die ersten Filme des "Godfathers of Giallo" anzuschauen und dort die meist offensichtlichen Hitchcock-Einflüsse zu betrachten. Argento beruft sich dort und in seinem Debüt Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe deutlich auf den englischen Meisterregisseur. Im Abschluss seiner anfänglichen Giallo-Trilogie, Vier Fliegen auf grauem Samt, begegnet man einem gereifteren Regisseur, der das Grundgerüst seiner Geschichte wieder auf Hitchcock'schen Einflüssen bettet, dabei weitaus mehr eine eigene Handschrift entwickelt hat, als man es nach dem rückschrittlichen Die neunschwänzige Katze hätte vermuten können. Wirkte der doch mehr als ein erster Versuch, den sich durch den Erstling entfaltenden Giallo einem breiten Publikum näher zu bringen, was eine Krimigeschichte zwischen drögen und gutklassigen Momenten mit sich brachte.
Bei Vier Fliegen auf grauem Samt konzentriert sich Argento mehr auf die Stimmung seiner Anfangs äußerst undurchsichtig erscheinenden Geschichte. Sein Protagonist, der Musiker Roberto, wird über Tage hinweg von einem älteren Herren verfolgt und stumm aus der Ferne beobachtet. Als es ihm zu bunt wird, dreht er den Spieß um, folgt dem Mann in ein baufälliges Theater und möchte ihn zur Rede stellen. Es kommt zu einer lautstarken Diskussion, gefolgt von einem Handgemenge, bei dem der mit einem Messer bedrohten Roberto den Mann versehentlich ersticht. Just in diesem Moment erhellen Scheinwerfer die Szenerie und ein Maskierter fotografiert die verfängliche Tat. Dieser beginnt, Roberto mit den Fotos in den unmöglichsten Situationen zu konfrontieren und zu erpressen. Es scheint, dass der Erpresser aus dem nächsten Umfeld Robertos zu kommen scheint, da dieser in dessen Wohnung ein und ausgehen kann, wie es ihm beliebt. Der durch die Situation an den Rande des Wahnsinns getriebene Musiker stellt nach weiteren Morden in seinem Umfeld einen bisher erfolglosen Detektiv ein, um Licht ins Dunkel zu bringen.
Da dieser leider vom uns und Roberto (noch) unbekannten Mörder mittels gut platzierter Giftspritze in den vorzeitigen Lebensabschluss geschickt wird, braucht es noch eine Zeit, bis sowohl der Protagonist als auch der Zuschauer vollends durchblicken. Bis dahin und davor offenbart uns Vier Fliegen auf grauem Samt noch offensichtlicher, was sich in Die neunschwänzige Katze abzeichnete und in vielen weiteren Werken Argentos zu bemerken ist. Der Italiener besitzt beim Schreiben seiner Bücher keine große Ausdauer; wie hier gehen seinen Filmen in der zweiten Hälfte oder den letzten Akten die Puste aus; die Ideen scheinen wie ausgesaugt zu sein. Was für einen grandiosen Build Up und fantastische Sequenzen zu Beginn genutzt wird, fehlt am anderen Ende des Films. Bei Vier Fliegen auf grauem Samt schickt uns Argento in eine unbehagliche Atmosphäre, überrascht uns wie Roberto mit dem fotografierenden Puppengesicht auf dem Theaterbalkon und kreiert eine dichte Stimmung der Paranoia.
Die unausweichlich scheinende Kollision mit dem Wahnsinn als albtraumhafte Sequenzen, direkt aus dem Unterbewussstsein Robertos kriechend. Allein dagegen ankämpfend, als Mörder der Polizei verraten zu werden. Argentos Inszenierung dieser Szenen so, dass diese mit der filmischen Gegenwart zusammenstoßen, um den vermeintlichen Nachtmahr als reelle Konfrontation mit dem erpresserischen Übeltäter zu enttarnen. Das die Geschichte bei der Logik hier schon hinkt, wird durch die filigranen Kameraspielereien und Einstellungen übertönt. Die gleichermaßen plausible wie aufgesetzte Auflösung vermag bedingt, die früh zu Tage tretenden Lücken in der logischen Erzählfolge zu schließen. Argento kommt nicht umhin, sich selbst auszubremsen. Frank Trebbin widmete dem Plot in seiner Besprechung in seiner Horrorlexikareihe "Die Angst sitzt neben dir" genau zwei Sätze. Konzentriert man sich auf dessen Kern, bietet Vier Fliegen auf grauem Samt eine dünne Geschichte, die der Italiener durch konstruierte Komplexität versucht aufzublähen. Das funktioniert bis in die zweite Hälfte hinein, in der dem Regisseur und Autoren merklich die Ideen ausgehen und er auf herkömmliche Thriller-Muster zurückgreift.
Weit weniger ein Problem des Films wäre es, wenn die Figur des Robertos im Verlauf der Geschichte nicht verblassen würde. Er ist kein wahrer starker Charakter, wahrscheinlich absichtlich so gezeichnet, um seine Schwäche, sein Leiden in seiner ausweglos erscheinenden Situation, herauszuarbeiten. Leider kann Hauptdarsteller Michael Brandon den Film nicht tragen. Da treten die Nebendarsteller, darunter Mimsy Farmer als seine Frau Nina, Jean-Pierre Marielle als der herrlich herumschwurbelnde, homosexuelle und erfolglose Privatdetektiv Arrosio und Bud Spencer als Robertos Kumpel Gott (sic!) besser in Erscheinung. Man ist Argento ein wenig dankbar, wenn er für einige Minuten Arrosio in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Trotz der erzählerischen Schwächen, die am Ende in eine konstruierte Auflösung (was man ja aber häufiger im Genre hat und ich persönlich an diesem auch sehr mag, eben weil manches so hanebüchen und an den Haaren herbeigezogen ist) kulminieren. Freudig ist zwischen den Zeilen und herrlichen Sequenzen (u. a. der - man kann es nicht anders sagen - hübschen Mordsequenz an Ninas Cousine Dalia) wieder Argentos Entwicklung zu betrachten.
Für mich fühlte es sich so an, als würde man während Vier Fliegen auf grauen Samt der vollständigen Entwicklung des Regisseurs beiwohnen. Wie bei Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe und Die neunschwänzige Katze bevölkern auch hier obskure Nebenfiguren die Handlung, die während der Laufzeit mehr und mehr in den Hintergrund rücken und vollends verschwinden. Selbst Hitchcock macht Platz, auch wenn Argento hier wie in späteren Werken immer wieder zum Motiv des unbescholtenen Bürgers, der durch Zufall in ein Verbrechen verwickelt wird, zurückkehrt. Vier Fliegen auf grauem Samt ist noch mehr eine Fingerübung, ein letztes probieren, bevor der Italiener gefestigt durch seine Tier-Trilogie zu den Filmen fähig war, mit denen er sich bei den Fans den Titel des "Godfathers of Giallo" verdiente. Selbst wenn der Italiener sich leider für einige Zeit in seiner eigenen Story verirrt, den Zuschauer kurz vorm abdriften in den Logiklöchern mit seinen visuellen Ideen und Morricones stark rockigen Soundtrack zurückholt, bietet Vier Fliegen auf grauem Samt dank seiner starken (stärkeren) ersten Hälfte schöne Giallo-Unterhaltung. Hätte (hätte Fahrradkette...) der gute Dario sich mehr auf die dort vorkommenden, starken Momente konzentriert, wäre dies womöglich sogar ein meisterlicher Paranoia-Thriller geworden.
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