Dienstag, 10. Juli 2018

Settegialli: A Blade In The Dark

Die Beziehung zwischen Lamberto Bava und mir ist schwierig. Sein Vater Mario würde es selbst, dank seiner Beiträge zum Gothic Horror und Giallo, in einer Top Ten-Liste meiner liebsten (Genre-)Regisseure aus Italien auf einen der vordersten drei Plätze schaffen. Seinen Sohn Lamberto habe ich damals, als blutige und matschige Effekte das A und O waren, durch seinen bekanntesten Film Dämonen 2 zum ersten Mal wahrgenommen. Die Geschichte war manchmal ziemlich dröge, die Ausleuchtung ganz hübsch und die Effekte ein Fest. Die entschuldigten - trotz simpler Story - so manches unverständliche Wort, da ich mir die ungekürzte NTSC-Videokassette aus den USA über den Namen meiner Mutter beim ehrwürdigen Videodrom, damals auch noch Mailorder, zulegte und mein Englisch noch nicht so gut war. A Blade In The Dark war Jahre später der erste Giallo, den ich von ihm sah. Richtig aus den Socken gehauen hat er mich nicht und auch der hier dokumentierte Rewatch, wieder einige Jahre danach, ließ mich den Film mit eher gemischten Gefühlen aufnehmen.

Am Besten lässt sich meine Einstellung zu Lamberto Bava als "Hassliebe" beschreiben, wobei Hass eigentlich zu hart ist. Das große Talent seines Vaters, da ging und gehe ich mit vielen Filmfans d'accord, hat er ja leider nicht geerbt. Vielleicht stand ihm auch der große Name immer im Weg und ließen die Erwartungen des Publikums und der Kritik zu hoch steigen. Bis auf Dämonen 2 waren seine Filme meist auch immer eine Spur kleiner, konnten von keinem größeren Budget profitieren und versandeten so im morastigen DTV-Dasein. Bei vielem Winke ich heute noch ab, wenn sich eines seiner Werke in meinem Player verirrt. Dann blitzen währenddessen kleine Höhepunkte auf und lassen mich wohlwollend nicken, während einige Minuten später das Geschehen auf der Mattscheibe zu angestrengtem oder enttäuschtem Seufzen anregt. Durch Specials bei critic.de und dem Online-Auftritt der Splatting Image, die wohlwollend mit dessen Œuvre umgingen, wurde meine erneute Neugierde auf den Bava-Filius geweckt.

Was lag also näher, für Settegialli A Blade In The Dark zum insgesamt dritten Mal zu sehen? Zumal ich eine Vorliebe für Gialli aus den 80ern habe und meine Vorgabe, mindestens einen Italothriller aus diesem Jahrzehnt auf die Liste zu packen, erfüllte. Richtige Freudensprünge vollführe ich zwar immer noch nicht, aber Bavas erster Giallo von insgesamt vier ist, wie man heute so schön sagt, ein Grower. Er macht vordergründig nicht alles richtig und gut, hintergründig kann A Blade In The Dark durch seine metareferenzielle Charakteristik punkten. Wie sein Freund und Förderer Dario Argento  - auf den Bava innerhalb des Films häufiger auffällig schielt - bei Vier Fliegen auf grauem Samt, stellt dieser einen Musiker in den Mittelpunkt seiner Geschichte. Dieser hört auf den Namen Bruno, ist Filmkomponist und soll für seine Freundin Sandra die Musik zu deren neuestem Horrorfilm komponieren. Während einer Aufnahmesession bemerkt der Musiker ein seltsames Flüstern auf dem Tonband und stößt auf sehr unkonventionelle Art und Weise während eines Kontrollgangs in der Villa, in welche er sich eingemietet hat, mit der nervös-überdrehten Katia zusammen. In deren verlorenen Tagebuch findet er Verweise zu den Worten auf dem Tonband, sieht sich weiteren seltsamen Vorkommnissen gegenüber und bemerkt dabei gar nicht, dass um das und im Anwesen selbst ein Unbekannter ein und aus geht, der gerne mit scharfen Gegenständen Frauen nachstellt und etwas dagegen zu haben scheint, dass der Musiker dem von Katia angesprochenen Geheimnis der vorherigen Villabewohnerin Linda auf die Spur kommt.

Während der Gialloplot auch diesmal leider ziemlich höhepunkt- und somit spannungslos vor sich hin plätschert und richtig funktionierende Spannungselemente nie wirklich aufbauen kann, sorgt Bava dafür, die in der Geschichte vorkommenden Bezüge zum Filme machen höchst interessant mit dem Thrillerelement zu verweben. Das (einige Zeit eintönig im Ohr feststeckende) Titelthema von A Blade In The Dark ist gleichzeitig das (einzige) Stück Brunos, welches er für den namenlosen Film seiner Freundin komponiert. Die Creditsequenz zeigt den Musiker dabei, wie er es am Synthesizer einspielt, während die Kamera sich vom Protagonisten loslöst und eine Runde um das in der Dunkelheit liegende Haus dreht. Das von den Brüdern Maurizio und Guido de Angelis komponierte Stück schlägt die Brücke zwischen der Handlung und dem reell existenten, gesehenen Film. Die Grenzen zwischen Fiktion (der Story, dem Film im Film) und Realität (A Blade In The Dark als physisch begreifbares Stück) verwischen ein Stück weit auf abstrakte Weise. Immer wieder löst Lamberto Bava diese auf. Es beginnt schon beim Prolog, der drei Jungen auf dem Weg in ein Haus mit dunklen Gängen und einem in schwärzester Schwärze gebetteten Keller zeigt. Wie sich herausstellt, handelt es sich um eine Mutprobe; der blondbemähnte Junge, der von seinen Freunden halb zum Haus geschleppt werden muss, soll in den gähnend tiefen Keller hinabsteigen und einen dort runter geworfenen Tennisball zurückbringen.

Dies stellt sich als Bruno und dem Zuschauer einzig bekannte Szene von Sandras Horrorfilm heraus und ist gleichzeitig - wie man es von Gialli kennt - ein Hinweis auf das tief verwurzelte Trauma des "real existierenden" Täters. Diese Spielerei funktioniert besser als der Thrillerplot, der an manchen Stellen schwerfällig erscheint. Bemüht werden viele Spuren zum Täter gelegt. Jeder der Nebenfiguren könnte der überwiegend in POV-Shots auftauchende Mörder sein. Seinerzeit schrieb ich, dass dieses Whodunnit-Element, obwohl man schnell die Identität des Killers erahnen kann, ganz ordentlich funktioniert. Nach der jetzigen Sichtung erweist sich dies als angestrengt und lässt leicht durchblicken, bei welchen der Figuren dies nur eine Finte des Buchs ist. A Blade In The Dark lässt gleichzeitig das größte Problem von Lamberto Bava als Regisseur erkennen. Dieser ist von technischer Seite ein Routinier mit kleinen Defiziten bezüglich Timing, besitzt dafür leider wenig Mut, (s)eine eigene Handschrift zu entwickeln oder zu zeigen. Vieles lässt bei diesem Film Erinnerungen an Dario Argentos ein Jahr zuvor entstandenen Tenebre wach werden.

Die bittere Erkenntnis ist dabei, dass es Lamberto Bava eigentlich gar nicht nötig hätte. In ihrem auf der deutschen Blu Ray befindlichen Audiokommentar erwähnen Pelle Felsch und Christoph Draxtra, dass die metareferenziellen Bezüge, die in A Blade In The Dark zum ersten Mal zum Vorschein kommen, immer wieder im Schaffen des Italieners vorkommen und man dies als Handschrift des Regisseurs gemessen an seiner Filmographie ansehen kann. Das Buch zum Film mag von Dardano Sacchetti und Elisa Briganti stammen, Lamberto Bava legte in seiner Umsetzung dieser Vorlage - vielleicht auch unbewusst - persönliches in diesen. Er mag Argento nicht nur zitieren, nicht nur kopieren, er beginnt hier auch auf seine Art Filme machen als Beruf(ung) zu verarbeiten. Das italienische Genrekino ging zuvor kaum offen mit dem Filme machen als solches und den damit verbundenen Umständen um (sieht man vom Jahre danach entstandenen, unglücklich ironisch-bitteren und leider vermurksten Fulci-Vehikel Nightmare Concert einmal ab). Lamberto lässt die Schwierigkeiten der Produktion mit einem destruktiv arbeitenden Phantom kollidieren, das erst gegen Ende zu dem wird, was man mit dem Giallo verbindet und erwartet: einen psychologisch traumatisierten Mörder dessen Mordantrieb in bester westentaschenpsychologischer Weise erklärt wird.

Bis Bava sich zu diesem Punkt durch das Drehbuch gearbeitet hat, referenziert er in A Blade In The Dark nicht nur die offensichtlichen Vorbilder Tenebre (visueller Stil und Setting) und De Palmas Blow Out (grober Aufhänger des Plots), sondern verbirgt in der Geschichte seine Interpretationen über das Filme machen an sich und spielt auf interessante Art mit dem Film im Film-Konzept, dem die Autoren ruhig mehr Raum hätten schenken können. Es muss in Lamberto Bava etwas ausgelöst haben, wenn er sich in seiner Karriere hin und wieder den Metareferenzen widmete. A Blade In The Dark kann man als brutal überzogene Erzählung über die Schwierigkeiten bei der Produktion von (Genre-)Filmen ansehen, der mit dem Mord an einer Figur gleichzeitig die unangenehme Situation schildert, wie es sein kann, wenn dieser eine Film - hier stellvertretend vom Mörder repräsentiert - die ganze Karriere killt. Weiter entwickelt sich dies in seinem Dämonen 2, wenn der Horrorfilm bzw. ein Ausstellungstück für diesen, einen Fluch auslöst und die titelgebenden Kreaturen, zuvor die mordende Entität des darin vorkommenden Kinofilms, auf das Kinopublikum loslässt. Da zeigt uns Bava schon fast unerkannt den Fluch, mit dem er belastet ist. Den Fluch des großen Namens; den Fluch der festgefahrenen Karriere, die - vielleicht auch durch die bekannten Verwandten - einen auf immer gleiche Werke festnagelt.

Da steht an Plänen für mich viel an: Settegialli beflügelte mich, durch die Sichtung beider mir noch fehlenden Tier-Trilogie-Filme Argentos, nicht nur dazu, mich mit dessen Filmen nochmal auseinanderzusetzen. Meine Lust, A Blade In The Dark nochmal zu schauen und die letztendliche Sichtung dessen, die Wahrnehmung seiner verborgenen Qualitäten, lässt in Zukunft auch Lamberto Bava in wahrscheinlich unregelmäßigen Abständen ein wiederkehrendes Thema hier im Blog werden. Vielleicht schließe ich bei der irgendwann mit Sicherheit folgenden vierten Sichtung diesen Giallo noch mehr ins Herz und nehme auch seine erzählerischen Schwächen mehr hin. Bis dahin schenke ich diesem größeres, wohlwollendes Nicken und bleibe dabei, dass mir sein von vielen geschmähten Das unheimliche Auge wegen seiner pulpigen Qualitäten und dem 80s-Hochglanz-Look und den von vielen übersehenen Body Puzzle, ein Giallo, der einen tatsächlich mal mit richtig spannenden Szenen überrascht, der sich an den damals ebenfalls sehr beliebten US-Thrillern orientiert, noch etwas besser gefallen (und über Midnight Killer breite ich, der Komplettheit halber, auch heute noch gerne den Mantel des Schweigens).

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