Donnerstag, 23. Mai 2024

Die Knochenfrau

Inwieweit ist es egoistisch, wenn man der Verwirklichung eigener Wünsche nachgeht und den Erwartungen von außen an der eigenen Personen nicht entsprechen will? Inwieweit soll man sich der Familie oder der Gesellschaft unterordnen, nur weile diese an veralteten Traditionen und Rollenbildern festhalten? Muss man sich erst so lange selbst verleugnen, bis man an einen Punkt gelangt, an dem es schwer ist, einen Strich zu ziehen und einen Neuanfang zu wagen? Fragen, die einem nach Betrachtung von Michelle Garza Cerveras Regiedebüt Die Knochenfrau in den Kopf kommen und die Regisseurin innerhalb ihres Films aufgreift. Ihre Protagonistin Valeria scheint zunächst ein zufriedenes Leben zu führen. Alles scheint zu passen, nur eine Kleinigkeit scheint noch zu fehlen um das alles abzurunden: ein Kind. Als nach mehreren Versuchen ein Schwangerschaftstest positiv ausfällt, beginnt für die junge Frau ein neuer Abschnitt in ihrem Leben und damit ein Umbruch. Die geliebte Schreinerei-Werkstatt in der Wohnung muss in ein Kinderzimmer umgebaut werden, körperliche Nähe wird durch ihren Partner Raúl verweigert, um angeblich dem Ungeborenen nicht zu schaden und die Familie weiß natürlich am Besten, wie sie sich nun zu verhalten hat. Valeria wird zunehmend fremdbestimmt. Damit nicht genug, wird sie von einer knochigen Gestalt heimgesucht, die zur Gefahr für Sie und das Kind wird.

Das die junge Frau mal ganz anders war, wie man sie zunächst kennenlernt, erzählen Rückblenden. Früher war sie in der alternativen und queeren Szene unterwegs, träumte mit der damaligen Freundin Octavia vom Ausbruch aus der einschränkenden Heimat. Doch die wilde, junge Frau entscheidet sich dagegen, will den Erwartungen ihrer Familie gerecht werden; die beiden verlieren sich aus den Augen. Durch Zufall treffen sich die beiden wieder, was Valeria an die damalige Zeit und ihre Wünsche und Träume erinnert. Ihr wird bewusst, dass das in ihr heranwachsende Kind nicht das ist, was sie sich wünscht. Sie sucht sich Hilfe bei einer Tante, die über altes Wissen verfügt, um mit archaischen Ritualen das Baby loszuwerden. An diesem Punkt ist Die Knochenfrau, die Huesera, längst zu einem Drama geworden. Der Horror spielt eine untergeordnete Rolle. Mehr schreit uns Cevera in leisen Tönen ihren Unmut über das Bild der Frau und dem von queeren Menschen in Mittelamerika hinaus. Wenn überhaupt, gehen Veränderungen langsam von statten. Alte Geschlechterrollen bleiben bestehen. Der Ausweg ist beschwerlich oder wie im dargestellten Leidensweg Valerias kaum möglich. Das Cevera in ihrer Sprache recht direkt ist, wenige Interpretationen bietet, zeugt mit Blick auf ihr Herkunftsland von Mut. Mit Blick auf den finalen Twist eine schwierige, weil offensichtlich, Entscheidung. Die Titelgebende Schreckgestalt entpuppt sich als Sinnbild. Dieses kann wiederum ist in seiner Darstellung, die zwischen Folk und Body Horror liegt, noch für genügend Schauer beim Publikum sorgen. Nicht zuletzt, da die Auflösung das ganze Ausmaß der Verzweiflung Valerias offenlegt. Die hier von Die Knochenfrau zur Schau getragenen Simplizität kommt Ceveras Absicht zu Gute. Der Film bleibt damit für das Publikum jederzeit zugänglich, die Wirkung der Geschichte gestärkt. Die Mexikanerin bietet mit ihrem Erstling ein beeindruckend selbstsicheres und sensibles Horrordrama über leider immer noch nicht überall so selbstverständliche, weibliche Eigenbestimmung.

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