Nachdem ich im letzten Jahr Lucio Fulcis selbst normaleren Zeitgenossen zumindest vom Hörensagen bekannten Ein Zombie hing am Glockenseil (welcher vor längerer Zeit bereits hier im Blog besprochen wurde) in meine Horrorctober-Liste packe, war dieses Jahr Über dem Jenseits dran. Dies geschah eher spontan als geplant, obwohl die beiden Filme zusammen mit Das Haus an der Friedhofsmauer seit einiger Zeit als "Gates of Hell"-Trilogie miteinander verbunden werden. Meiner persönlichen Meinung ist diese Verbindung nur eine weitere Maßnahme, für die drei Filme ein neues Marketing und mehr noch eine weitere Art der Auswertung auf physikalischen Medien zu finden. Inhaltlich unterscheiden sich alle drei Werke und jeder steht für sich alleine. Auch ist meines Wissens nach niemals von den Machern, egal ob Drehbuchautor Dardano Sacchetti oder Regisseur Fulci selbst, geplant gewesen, eine solch eine Trilogie zu kreieren.
Einen gemeinsamen Nenner hat das Trio dennoch: den Einfluss des Werks von H. P. Lovecraft. Ist der in seinen Geschichten häufige Zustand der jederzeit spürbaren Bedrohung, ausgehend von einem stets im Hintergrund lauernden, namenlosen Schrecken atmosphärisch in Ein Zombie hing ein Glockenseil und Das Haus an der Friedhofsmauer deutlich spürbar, so spielt die Handlung in erstgenanntem zudem in der aus Lovecrafts Erzählungen bekannten Ortschaft Dunwich. Bei Über dem Jenseits geht Fulci eigenständige Wege, der Schrecken ist visuell präsenter während er dabei eine die konventionelle Erzähllogik komplett aufbrechende, wortwörtlich alptraumhafte Stimmung aufbaut. Lovecraft ist wie im ein Jahr zuvor entstandenen, am Glockenseil baumelnden Untoten benennbar vertreten. Das im Film vorkommende Buch Eibon ist eine Schöpfung des Amerikaners, welches von ihm selbst in Geschichten wie "Das Ding auf der Schwelle", "Träume im Hexenhaus" oder "Der Schatten aus der Zeit" erwähnt wird. Durch letztgenannte Geschichte ist es auch ein Bestandteil des Cthulhu-Mythos und ist in diesem sogar noch älter und mächtiger als das allseits bekannte Necronomicon. War es bei Lovecraft selbst nur eine Randnotiz, spielte es in den diesen Mythos erweiternden Geschichten von Clark Ashton Smith eine größere Rolle.
Diese hat es auch in Über dem Jenseits, in dem es eine Art Schlüssel zum Öffnen der Tore zur Hölle dient. Über einem der insgesamt sieben Tore wurde in Louisiana ein Hotel erbaut. Im Jahr 1927 wurde darin, so lehrt uns die Pre Title-Sequenz, der Maler Schweick von einem schlechtgelaunten Pulk an Menschen grauenvoll umgebracht. 54 Jahre später renoviert Liza eben jenes, frisch geerbte Gebäude. Die Arbeiten am Gebäude werden von schrecklichen Unfällen überschattet und bald darauf lernt die junge Frau die geheimnisvolle, blinde Emily kennen. Diese warnt Liza vor den Gefahren, wenn sie weiter im Hotel verweilen sollte. Von der hübschen Blondine ungemerkt wurde der Maler Schweick aus seinem zugemauerten Verlies im Keller befreit, was dazu führt, dass immer häufiger unerklärliche und schreckliche Dinge in Lizas Umfeld passieren. Mit ihrem Freund Martin und dem Arzt John McCabe versucht sie, das Geheimnis des Hotels zu ergründen. Dieser Inhaltsangabe zum trotz fällt es nicht einfach, die Story von Über dem Jenseits komplett wiederzugeben. Schuld daran ist seine sprunghafte, mit groben Auslassungen arbeitende Erzählweise und eingeschobene, aufgebröckelte Episoden, die erst im späteren Ganzen einen gewissen Sinn ergeben.
Sinn in der vom Film etablierten, eigenen Logik wohlgemerkt. Oliver Nöding spricht in seinem Text zu Über dem Jenseits von Fans, die den Gore ziemlich töfte, die Geschichte des Films selbst aber total unlogisch finden. In meiner extremen Gorehound-Phase ging es mir beinahe ebenso. Von der damaligen Kritik, welche die Story als Alibifunktion für äußerst viele, ausgedehnte Szenen voller Brutalitäten ansah, ganz abzusehen. Damit tut man Über dem Jenseits unrecht. Die Goreszenen mögen ein Zugeständnis an den kommerziellen Aspekt des Films sein; die vorkommenden Zombies - deswegen trug Fulcis Werk bei der Erstaufführung in Deutschland den leicht dämlichen Titel Die Geisterstadt der Zombies - sind zum Beispiel auf Anforderung des deutschen Verleihs, der Gelder für die Produktion beisteuerte, mit eingebaut worden. Splatter ließ sich in Kombination mit Untoten eben sehr gut verkaufen. All' das Blut und Gekröse funktioniert - im Gegensatz zu Ein Zombie hing am Glockenseil - in der Gesamtheit des Films. Schon die Eingangssequenz arbeitet mit quälend langen Einstellungen auf den vom Löschkalk verätzenden Körper von Schweick und fast alle Szenen kulminieren in einem blutigen Finale.
Über dem Jenseits ist übernatürlicher Horror mit stark naturalistischem Charakter. Fulci wandelt in ruhigen Szenen auf den Spuren des Haunted Houses, mancher Szenenaufbau lässt grob an Kubricks The Shining erinnern. Die Darstellung des Hauses, insbesondere die Kellerszenen sowie fast alle Sequenzen mit der blinden Emily wandeln auf den Spuren des Gothic Horrors. Die Untoten selbst verhalten sich komplett anders, wie z. B. in Romeros Trilogie oder ähnlich gelagerten Filmen. Fulci schert sich um die Darstellungsregeln der zu dieser Zeit schon etablierten, "neuen" Zombies (fernab vom Voodoo-Volksglauben) einen Dreck. Wie in Ein Zombie hing am Glockenseil verhalten sie sich geisterhaft: sie können plötzlich vom Ort des Geschehens verschwinden und sich materialisieren. Im Grunde genommen sind Fulcis Geister hier die Konsequenz des Überthemas seines Films. Es sind keine romantisierte Erscheinungen, keine lebendig erscheinenden Menschen mit transparentem Astralkörper oder sonstige Schreckgespenster. Seine Geister sind vom Tod deutlich gezeichnete Erscheinungen, an deren einstige Sterblichkeit durch ihre mehr oder weniger verweste Gestalt immer erinnert wird.
Diese Jenseitigkeit ist das Kernthema von Fulcis Film, dessen kaum vorhandene, gewöhnliche Erzählweise der eigenen Logik eines Alptraums weicht. Zwei weit voneinander entfernte Orte sind beispielsweise schlagartig miteinander verbunden. Der übergreifende Schrecken hebt die Regeln der realen Welt aus den Angeln. Hier können wir noch einmal Lovecraft heranziehen, dessen Beschreibungen der Stätten seiner "Großen Alten" im Cthulhu-Mythos ebenfalls mit einer verzerrten Realität, einer ganz eigenen Geometrie ausgestattet sind. Der vordergründige Alptraum über die Öffnung eines Höllentores, dem Einzug geisterhafter Wesen und deren Machtübernahme der menschlichen Welt ist hintergründig ein Horror des Unterbewussten. Über dem Jenseits ist die Jagd des Todes nach dem menschlichen Leben und der ständig präsenten Angst, vom Schnitter früher oder später geholt zu werden. Vom natürlichen Ableben möchte Fulci nichts wissen. Sein Spiel mit unserer Angst ist die Ungewissheit, ob man irgendwann gewaltsam aus dem Leben gerissen wird. Viele seiner Szenen enden eben mit diesen nicht vorhersehbaren Unfällen.
Es ist eine pessimistische Sicht auf das Leben als solches, der empathielos auch vor schweren Schicksalen von Kindern nicht halt macht. Fulcis Fazit: Der Tod ist unausweichlich. Das wunderschön makabre Finale mit seiner legendären Endsequenz kann man somit auch als Tod der beiden Protagonisten sehen, die sich letztendlich fassungslos ihrer Endlichkeit ergeben und somit in die jenseitige Welt übergehen. Fulcis verbittertet Ton, der auch in Äußerungen seiner selbst immer wieder zum Vorschein trat, fügt sich hier (wie in anderen Filmen) in die Handlung des Filmes ein. Wir müssen am Ende eben alle jenen Weg gehen, den auch John und Liza gehen. Vordergründig ist dieser negative Abschluss ein weiterer Sieg der übernatürlichen Kraft, die die rational angelegten Figuren - hier in Form des Arztes - besonders schwer treffen. Über dem Jenseits funktioniert losgelöst von dieser Lesart sehr schön als morderner Splatter Gothic, der sich für eine von normalen Regeln bestimmte Handlung nicht interessiert und den Zuschauer für alptraumhafte 90 Minuten in eine ganz eigene Welt entführt. Auch nach der x-ten Sichtung ist dieser Film eine tolle Entdeckung.
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