Die von Stephen Poliakoff geschriebene, vier-teilige Miniserie erscheint auf den ersten Blick als ein opulent ausgestattetes Drama, das mit seiner großartigen Ausstattung ein wenig vom bekannten Verlauf seiner Handlung etwas ablenken möchte. Man kennt die grobe Handlungsabschnitte auch aus anderen Musikerdramen: eine zuerst unbekannte Band wird entdeckt, feiert erste Erfolge bis sie auf dem Höhepunkt ihres Schaffens angelangt. An der Spitze angelangt, kommt es zu Konflikten oder Schicksalsschlägen, die für den Niedergang sorgen. Dies beschreibt auch grob die Handlung von Dancing on the Edge, allerdings würde man mit dieser voreingenommen Blick der Serie unrecht tun.
Poliakoff verlagert sein Stück in das London des Jahres 1932. Der für das kleine Magazin Music Express schreibende Stanley Mitchell entdeckt in einem kleinen Club die Louis Lester Band. Er glaubt an die schwarzen Musiker und ihren Jazz, rät ihnen dazu, noch eine Sängerin aufzunehmen und verschafft ihnen Auftritte im Imperial. Die dortigen Gäste sind empört über die schmutzigen, unzumutbaren Künstler, welche sich sogar anschicken, im Hotel zu wohnen. Doch das Können der Musiker und ihrer Sängerin Jessy zahlt sich aus: Die Band wird erfolgreicher, zieht andere Gäste in das vor sich dahinsiechende Hotel an und wird immer mehr gefeiert. Der Erfolg von Lester und Konsorten ist dicht verwoben mit dem Wachstum des Music Express, doch auf dem Höhepunkt des Erfolgs kommt es zu einem tragischen Zwischenfall, der schnell das Blatt wieder gegen die immer mehr akzeptierten Musiker wendet.
Dabei fällt der erzählerische Blick nicht nur auf das Schicksal des gesamten Bandgefüges und sich bildenden, zwischenmenschlichen Geschichten. In einer Zeit, in der die Nationalsozialisten in Deutschland kurz vor der Regierungsübernahme stehen (was in späterem Verlauf auch in der Serie thematisiert wird) und etwas wie Gleichbehandlung von Menschen verschiedenster Hautfarben leider noch nicht selbstverständich ist, behandelt Dancing on the Edge wie Schwarze damals mit Problemen konfrontiert wurden. Dies fängt von Schikanen der Einwanderungsbehörde an, welche Geburtsurkunden und Arbeitsnachweise wöchentlich einfordert und macht mit dem Verhalten anderer Menschen gegenüber den Musikern bzw. andersfarbigen Menschen weiter. Der Rassismus, dem sich die Band gegenüber sieht, ist tief verankert.
Dancing on the Edge schwingt dabei nicht mehr der Moralkeule; sie prangert nicht an. Die Serie tut dies aber auch nicht als bloßes Beiwerk und typische Erscheinung der damaligen Zeit ab. Der Rassismus ist existent in der Gesellschaft, die die Serie zeigt. Progressiv denkende Zeitgenossen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den jüngeren Figuren des Stücks zu finden. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das als solches noch gar nicht von der Mehrheit ausgemacht ist. Daraus resultiert auch das für die heutige Zeit so schockierende. Auch wenn man von den Zuständen vergangener Jahrzehnte weiß: die Konfrontration damit, auch in einer fiktiven Geschichte, kann trotzdem unglaublich sein und bleiben. Hier gibt sich die Serie angenehm nüchtern in seiner Darstellung bzw. Erzählweise und kann auch durch ein gut gewähltes und aufgelegtes Ensemble aus bekannten (darunter z. B. John Goodman) und unbekannteren Gesichtern zu punkten.
Immerhin wurde Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor für seine Leistung für den Golden Globe nomiert. Den begehrten Preis konnte leider nur die Schauspielerin Jacqueline Bisset für ihre Rolle als die zurückgezogen lebende, adelige Lady Lavinia Cremone einheimsen. Zudem war man auch als beste Miniserie für den Golden Globe nominiert. Zurecht kann man sagen. Dancing on the Edge kann in vielerlei Dingen begeistern und schafft es mit seinen vier 90-minütigen Folgen (Aufgliederung bei Netflix), mit einem dynamischen Stil seiner Erzählung keine Längen aufkommen zu lassen. Gekonnt vereint die Serie ihre Absichten, gute, gehobene Unterhaltung zu bieten und dabei auch Anspruch walten zu lassen. Man kann sich vorstellen, dass es kein sehr tiefgründiges Autorenstück ist, doch Autor Poliakoff, welcher auch Regie führte, kann beides in seinem Stil gut vereinbaren.
Dancing on the Edge kann verzaubern, auch durch seinen Soundtrack, der selbst Menschen, die ansonsten wenig mit Jazz am Hut haben, dafür begeistern kann. Es fühlt sich rund an, wenn man in diese sich im Umbruch befindliche Welt eintaucht und sich auf die Geschichte rund um Lester und seine Musiker einlässt. Trotz des bekannten Handlungsbogens, auch trotz ihrer Charaktere, die ebenfalls nicht groß originell erscheinen mögen. Die Serie ist gut ausgearbeitet und bietet eine nuancierte Sicht auf eine dramatische Geschichte die, was wichtig für solche Miniserien ist, von Beginn an fesseln kann. Wer also Zeit für die bisher nicht im deutschen Free-TV ausgestrahlte Serie hat und über ein Netflix-Konto verfügt, sollte sie sich ruhig anschauen.
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