Donnerstag, 2. November 2017

Einsamkeit und Sex und Mitleid

Wir Deutsche haben in manchen Themen einen Stock metertief im Hintern stecken. Wenn zum Beispiel übers Vögeln gesprochen wird. Die direkt gewählte Wortwohl zu Beginn dieser Besprechung muss einfach sein. Geschlechtsverkehr kann ja jeder (sagen), aber ficken will gelernt sein. Oder so ähnlich. Klingt wirr? Jein (Sprachpuristen sollten die bei diesem Wort einsetzende Facepalm nicht zu lange an der Stirn kleben lassen). Im springenden Sinn meiner gewählten Thematik schon, auf Einsamkeit und Sex und Mitleid übertragen sich dessen Stil anpassend. Würde eine genaue Schilderung der Handlung den Rahmen sprengen. Der als Vorlage dienende Roman beinhaltete sage und schreibe 36 Figuren; 13 davon haben es in die Verfilmung geschafft. Diese Menschen sind einfach strukturierte Charakteristika des deutschen Volkes. Spielt allein der Titel von Lars Montags Kinodebüt auf den Refrain der deutschen Nationalhymne an.

Will uns Montag also einen Spiegel vorhalten? Uns diesen eingangs erwähnten Stock aus dem Hintern ziehen, damit wir ab sofort lockerer mit Sexualität oder anderen Dingen in unserem Leben umgehen? Mitnichten. Einsamkeit und Sex und Mitleid ist ein Film, der laut und überdreht die Macken unserer Mitmenschen, von uns selbst, in den Mittelpunkt rückt. Daraus kreiert er in Episoden Kleinstgrotesken, wechselt zwischen seinen Filmfiguren, die nebeneinander existieren und deren Wege sich kurz oder länger kreuzen. Vom jugendlichen Moslem, der aus religiösen Gründen keinen vorehelichen Koitus vollziehen kann, außer er würde Geld dafür zahlen bis zum vielleicht nicht zerrütteten, dafür leicht erschütterten Familienkonstrukt mit genervter Teenietochter, leicht depressivem Vater und seiner in einer ökologischen Gutmenschen-Parallelwelt lebenden Frau sind die Figuren mannigfaltig. Bei der großen Anzahl an wechselnden Personen bleibt eine genaue, detaillierte Zeichnung dieser auf der Strecke.

Lars Montag und Helmut Krausser, der Schöpfer der Romanvorlage der auch am Drehbuch mitarbeitete, sind mehr darum bemührt, diese klischeehaft erscheinenden Menschen in verschiedene Situationen zu stecken um somit das Miteinander zwischen den Deutschen zu beobachten. In seinen besten Momenten steigert der Film jedem schon einmal im Leben begegnete Situationen in urkomisch groteske Momente, ohne hierbei z. B. die Hintergründigkeit eines Loriots zu erreichen. Der Humor ist grell, fast krawallig und schielt etwas auf ein aufgeschlosseneres Mainstream-Publikum, dass eben auch mal solche "seltsamen" Streifen schauen möchte, um sich gut zu fühlen. Hinzu kommen Beziehungskisten von fast geschiedenen Ehepaaren, baggernden Singles und sehr offen lebenden Paaren mit sexuell ausgerichtetem Beruf. Der nächste krawallige Aspekt des Films: das Gevögel ist allgegenwärtig und nimmt anderen Faktoren der Geschichte die Luft um ein besseres Gleichgewicht herzustellen.

Leider kann man das nicht als mahnenden Fingerzeig auf Übersexualisierung der Gesellschaft sehen. Hier wird egoistisch gefickt oder will gefickt werden. In diesen Szenen schaltet Montag einen Gang zurück und lässt auch durch die durchschnittlich aussehenden Darsteller den Akt nicht als ästhetisch aufwertende Sache aussehen. Sex gehört auch bei den Deutschen zum Alltag, die gefühlte Überpräsenz in der Geschichte scheint dazu zu dienen, dem letzten verklemmten Zuschauer die Schamesröte ins Gesicht zu knallen. Das lässt alles infantiler erscheinen, als es ist. Das Drama um die einzelnen Figuren rückt in den Hintergrund, erst gegen Ende - wenn der dritte Akt Mitleid einsetzt - werden keine leiseren, aber zumindest ruhigere Töne angesprochen. Hier blicken Montag und Krausser auf die gescheiterten Leben ihrer Figuren. Die zuerst für Typen in der Gesellschaft stellvertretenden Personen bleiben dadurch flach und gewinnen leider keine weiteren Charakteristika hinzu. Auch die guten Darsteller können hier gegen die Klischeezeichnungen nicht anspielen.

Der spöttische Blick des Drehbuchs auf diese uns im Leben begegnenden Typen entwickelt in den richtig starken Szenen schön absurde Momente, die Einsamkeit und Sex und Mitleid vom deutschen Filmeinheitsbrei etwas abheben lässt. Man fühlt sich ertappt oder erkennt zumindest Dinge, die man so schon erlebt oder erzählt bekommen hat. Die oberflächlich einfachen Figuren, von denen der Film lebt, treffen mit ihrer Darstellung ins Herz der Zuschauer. Hinzu kommt der bildgestalterisch durchstrukturierte Stil, der sich so aufgeräumt wie eine deutsche Amtsstube und in anderen Szenen modern und klar gibt. Diese Bilder und die verschachtelte Story lenken davon ab, dass das Kinodebüt des vom Fernsehen kommenden Montag einfacher gestrickt ist als gedacht. Das dramatische Potenzial wird manchmal verschenkt, lieber werden die gebeutelten Personen wieder in eine komisch-absurde Situation gestoßen. Montag und Krausser genießen dies fühlbar und geben wahrscheinlich einen Scheiß darauf, dass einige den Film als zu leicht, zu lustig wahrnehmen. Die Dramatik verlässt leider nie (das wenigstens gutklassige) Fernsehfilm-Niveau. Andererseits ist das auch ein weiterer Fingerzeig auf den Stock im deutschen Volkshintern, den selbst der lockerste Geselle leider doch etwas mit sich trägt. Einsamkeit und Sex und Mitleid schafft es damit, wenigstens für mich zu einem der interessantesten Beiträge aus Deutschland für das Filmjahr 2017 zu werden.
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