Mittwoch, 8. November 2017

The Hills Have Eyes (2006)

Die '68er rüttelten das miefige, konservative Establishment mit ihren radikal-revolutionären Gedanken auf und stellten bestehende Strukturen in Frage. In den westlichen Ländern wurden die Gesellschaft und Politik von den linksgerichteten Protestbewegungen durchgeschüttelt und die folgenden Jahre davon beeinflusst. Filmisch kann man eventuell von den '74ern sprechen, als Tobe Hooper mit The Texas Chainsaw Massacre den Terrorfilm definierte. Das war roh, ungeschliffen und - wie einige Gruppierungen und Bewegungen der '69er - radikal. Man verzichtete auf jeglichen phantastischen Hintergrund; der Reportagestil der Filme richtete einen ungeschönten Blick auf physische wie psychische Gewalt der Geschichten und etablierte einen schmutzigen Look für das neu entstandene Subgenre. Die neue Zügellosigkeit dieser Art von Filmen führte das fort, was Romero 1968 mit seinem Night of the Living Dead begann: das Horrorgenre von Romantisierung befreien und den phantastischen Stoff in eine weitgehend reale Gegenwart einbetten. Mit ihren Filmen rissen Tobe Hooper oder auch ein junger Wes Craven jegliche Übernatürlichkeit aus dem Horrorfilm heraus.

Diese Radikalität besitzt auch Alexandre Aja, wenn man sich sein Remake von The Hills Have Eyes näher betrachtet. Drei Jahre zuvor setzte der Franzose mit seinem Haute Tension eine dicke Duftmarke: beinahe über Nacht wurde das europäische Genrekino mit diesem Schocker aus einem Dornröschenschlaf brutal wach geküsst und gab den Startschuss für einige harte Beiträge aus Frankreich, welche als New Wave of French Horror bekannt wurde und die mit anderen Filmen von Regisseuren wie François Ozon oder Gaspar Noé vom Kritiker James Quandt zur New French Extremity zusammengefasst wurden. High Tension mag auf den ersten Blick offensichtlich cleverer, düsterer und weit weniger im Mainstream verwurzelt sein. Im Gegensatz dazu folgt Ajas Hollywood-Debüt streng den Regeln des höher budgetierten B-Horrorfilms, bedient sich bei der Figurenzeichnung den Klischees des Genres und benutzt sie letztendlich nur dafür, um sein eigenes Ding zu drehen. Überbrutale Subversivität explodiert ungemerkt vorm Kinopublikum, das oberflächlich literweise vergossene Blut ist Ajas ganz eigenes politisches Statement, wenn The Hills Have Eyes jemals (in irgendeiner Weise) überhaupt politisieren will.

Die vom aus dem Polizeidienst ausgeschiedenen "Big Bob" angeführte Familie Carter ist ein Abbild des konservativen Amerikas, republikanisch ausgerichtet, christlich und gottesgläubig (Ehefrau Ethel), moderate demokratische Werte (Schwiegersohn Doug) ablehnend und an die Macht des Stärkeren und der Kraft der Handfeuerwaffe glaubend (Big Bog). Ihr Trip nach San Diego führt sie durch die Wüste, einem toten Land, welches für die Reisenden zur letzten Ruhestätte wird. Sie werden von einem alten Tankstellenbesitzer in den sicheren Tod geschickt, als dieser ihnen den Tipp einer Abkürzung um schneller aus der Wüste heraus zu kommen, gibt. Diese führt die Familie in die Arme eines degenerierten Clans, gezeichnet von den in den 50ern in diesem Gebiet durchgeführten Atomtests der Regierung, die zu enormen Missbildungen an deren Körpern führten. Systematisch wird die Familie unbemerkt zum Stillstand gezwungen, auseinander getrieben und angegriffen. Der von Bob als Schwächling gebrandmarkte Doug wächst über sich hinaus, als es darum geht, seine entführte, kleine Tochter aus den Fängen der Mutantenfamilie zu befreien.

Straft man hier The Hills Have Eyes als rassistisch motiviert ab, der die fremdartigen Mutanten als gemeingefährliche Eindringlinge und Gefahr für das gute, weiße Bürgertum darstellt, stempelt den Film zu schnell ab. Aja gelingt es, seinen in Haute Tension gefestigten, radikalen Stil an die Gepflogenheiten des filmischen Mainstreams anzupassen. Sein Backwood-Terror knallt dem Zuschauer in den ersten Minuten als Marschrichtung für die folgende Geschichte einen brutalen Angriff auf namen- und gesichtslose Nuklearforscher vor den Latz: eine Pre Title-Sequenz, welche die Konsequenzen der kurzen, erklärenden Texteinblendung zeigt und in den Vorspann mündet, für das Subgenre stilecht mit Stock Footage über Nukleartests in den 50ern, die von kurzen verzerrten Zwischensequenzen mit Bildern von missgebildeten Menschen unterbrochen wird. Aja spielt das große Spiel von "oben" mit, hält sich an die Vorgaben des Drehbuchs, das dicht auf den Spuren des Originals wandelt und formt einen Horrorfilm, der dem Zuschauer einiges abverlangt. Schafft es die im US-Horrorfilm häufig als Zielscheibe bzw. Angriffspunkt der (übernatürlichen) Antagonisten auserwählte Familie, nach erfolgreich abgewandter Bedrohung, sich zu festigen, sprengt Aja diese ohne mit der Wimper zu zucken.

Der nächtliche Angriff auf das Wohnmobil der Carters, schrecklicher Höhepunkt, Herzstück und Wandlungspunkt des Films, wird wie bei Haute Tension über die Tonspur in ihrer Schrecklichkeit verstärkt. Dröhnender Basslinien, langgezogen und an Industrialstücke angelehnt, bohren sich mit der eiskalten Mördertaktik des Mutantenclans in das Unterbewusstsein des Zuschauers. Aja packt uns hier auf verschiedenen Ebenen: es wird nicht nur eine Familie in ihren Grundfesten erschüttert, die anarchischen Degenerierten, diese "Punks" der Wüste verüben einen Anschlag auf das konservativ geprägte Amerika, und fackeln es (wortwörtlich) ab. Ein radikales politisches Statement das mit späteren Einstellungen, wenn der "Waschlappen" Doug ,urplötzlich zum Held gewandelt, durch ein verlassenes Dorf läuft und auf die Leiche von Big Bob trifft. Dieser sitzt in einem der Musterhäuser inmitten von Menschsubstituten der damaligen Zeit, Puppen, am geschmückten Esstisch, die amerikanische Flagge (vormals am Außenspiegel des Wohnmobils) tief in den ausgebluteten, republikanischen Schädel gerammt. Die damit ausgedrückte Abscheu gegenüber fundamental handelnde und denkende US-Bürger mag übertrieben brutal und plump (links)radikal wirken, im Gewand modernen Terrorkinos, dass auch vor breitflächig ausgelegten Splatterszenen nicht halt macht, brennt es sich im Unterbewusstsein ein.

Aja hat seine Hausaufgaben gemacht, zeigte sein Talent schon in Haute Tension, der ihm im Gegensatz zu The Hills Have Eyes noch nihilistischer gelang. Die Zugeständnisse an den US-Mainstream sind die in der zweiten Hälfte eingesetzten, moralischen Entschärfer. Die Rachestory lässt Doug und die verbliebenen, anderen Familienmitglieder zu Gewinnern in einem ungleich wirkenden Kampf werden. Der moderat und aufgeklärt eingeführte Herr lässt seine letzten Hemmungen in der heraufbeschworenen Extremsituation fallen; durch die Location, den mit kratzigen, alten E-Gitarren angereicherten Score und den als Lone Wolf dargestellten, im vom Blut der Gegner und Schmutz verkrusteten letzten Vertreter einer "normalen" Zivilisation, wirkt er beinahe wie ein Italowestern-Heroe. Aja hätte sicher noch düsterer gekonnt, das Publikum wäre wahrscheinlich wegen ausgelassener Katharsis verstörter als vielleicht ohnehin schon gewesen. Kinder sind und bleiben (mit wenigen Ausnahmen) unantastbar und so schließt Doug, nicht ohne Duell mit einem der letzten verbliebenen Clan-Mitglieder, seine entführte kleine Tochter wieder in die Arme. Der Ein-Mann-Feldzug des zivilisierten Weißen gegen die Degerierten bietet einen säuerlichen Nebengeschmack, wenn man The Hills Have Eyes wirklich als Splatter-Politikum sehen möchte. Als Terrorfilm gewinnt er auf ganzer Linie und führt diese alte Tradition mit modernen Mitteln fort, lässt durch seine Kaltschnäuzigkeit das flache Drehbuch vergessen, dessen Orientierung am Vorbild aus den 70ern löblich ist, aber auch zeigt, dass Cravens Original zwar kultig, aber irgendwo auch nicht zu den ganz großen Vertretern seines Genres zählt. Da ist es wirklich schade, dass Aja durch diesen auch kommerziell sehr erfolgreichen Film erstmal als "Remakemaschine" festgelegt war.
Share: