Dienstag, 30. Juli 2019

American Rikscha

Wild Strömungen des (aktuellen) populären Kinos in ein einzelnes Drehbuch stopfen, ohne Rücksicht auf Verluste, praktizierten italienische "Billigfilmer" noch Ende der 80er, als deren Rip Off-Industrie schon stark angeschlagen in den Seilen hing. Ich hatte schon immer leicht meine Probleme mit italienischem Genrekino, welches in dieser Zeit entstand. Das einzigartige Flair, welches die Filme aus dem Mittelmeerland wenigstens bis Mitte der 80er besaßen, ging immer mehr flöten und wich einem generischen Videolook und einer krampfhaften, dem noch geringeren Budget der damaligen Produktionen verschuldeten billigen Amerikanisierung des fertigen Werkes. Man konnte sie von anderen Massenproduktionen für den DTV-Markt nicht mehr von bräsigen US-Schoten unterscheiden. Seit dem internationalen Erfolg des Italo-Westerns versteckten sich die Italiener im Bestreben um eine bessere, internationalen Vermarktung hinter Pseudonymen und ließen durch eine internationale Besetzung ihre Produktionen größer wirken.

Den italienischen Kern, das Herz dieser Filme - eine unbedarfte, mutige und selbstbewusste Herangehensweise an den Stoff - spürte man den Werken, die Ende der 80er entstanden, nicht mehr an. Hinter aufgesetzten Plots und einem austauschbaren Look zwischen US-TV-Serie und C-Movie-Videoproduktionen verbarg sich der Versuch, damaligen 08/15-Videotheken-Allesleihern filmisches Fast Food zu verticken. Meine Erwartungen an American Rikscha waren gering; insgeheim loderte in meinem Fanherzen die Hoffnung, dass Sergio Martino mit seinem Spätwerk mir ein halbwegs spannendes Werk serviert. Die ersten zehn Minuten des Films ließen diese wachsen. Sein Stamm-Kameraman Giancarlo Ferrando bietet einige hübsche Einstellungen und eine in Zeitlupe ablaufende Sequenz erinnert leicht an die Rückblenden von Martinos bestem Film und meinem Lieblingsgiallo Der Killer von Wien. Wenn dort Hauptdarsteller Mitch Gaylord (!) in seiner Funktion als unbekümmerter Strahlemann eine alte chinesische Lady allein durch seine Muskelkraft im strömenden Regen von einer Bank hebt, blitzt dieses Gefühl aus italienischem Wahnwitz mit großen Sympathiewerten, trotz seiner rational betrachtet unfreiwillig komischen Darstellung, kurz auf.

Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Mit dem sich ausbreitenden Plot um einen Studenten (Gaylord), der seinen erkrankten Mitbewohner bei dessen Nebenjob als Rikschafahrer vertritt und die Bekanntschaft der Stripperin Joanna macht, die ihn mit einem eindeutigen Angebot auf eine Yacht lockt, macht das kurz aufgetauchte Potenzial der Routine Platz. Auf dem kleinen Luxuskahn angelangt, entdeckt Student Scott, dass ihn ein schmieriger Geselle, versteckt hinter einem Spiegel, beim Schäferstündchen mit der Stripperin filmen wollte. Erzürnt darüber, verpasst Scott dem Kamerawiderling eine Schelle, konfisziert das Videotape und stapft davon. Weil er im Trubel das falsche Video mitgenommen hat, kehrt er an den Ort des Geschehens zurück um sich das richtige Material aushändigen zu lassen. Alles was er vorfindet, ist Chaos und die frische Leiche des filmenden Spanners. In Panik flieht Scott vor dem sich noch auf dem Schiff befindlichen Killer, setzt die Yacht in Brand und befindet sich fortan auf der Flucht vor dem geheimnisvollen wie muskelbepackten Killer und der Polizei, für die er zum Hauptverdächtigen wird.

Das Thrillereinerlei bietet im weiteren Verleih Menschen auf der Suche; der Killer zuerst nach dem versehentlich mitgenommenen Videoband, später nach einer Statue und dem dazugehörigen Schlüssel, die Polizei nach Scott und dieser nach Joanna. Wenn der Student die Stripperin findet, folgt das obligatorische Extremsituationsbumsen und das unfreundlich gegen die Hauptfiguren arbeitende Schicksal, welches diese zusammenschweißt. Um den Plot aufzupeppen, baute man in das Drehbuch - an dem u. a. Sauro Scavolini, Regisseur des Giallodramas Liebe und Tod im Garten der Götter (hier besprochen) beteiligt war - asiatisch gefärbte Mysteryelemente ein. Funktionell grätschen diese in die Handlung rein wie einst Bernd Hollerbach in seine Gegenspieler. Schlagartig brechen sie den Plot auf und überziehen das hitchcock'sche Grundgerüst des Films mit übernatürlichem Effektwerk. Nach langsamer Steigerung übernimmt es gegen Ende die Handlung komplett und lässt American Rikscha zu einer obskuren Mischung aus seichter Mystery und klischeebehafteten Dutzendwaren-Thriller werden. Auf den behäbig hingearbeiteten Genrewechsel folgt eigentlich charmant kruder Humbug, der den in einer Nebenrolle auftretenden Donald Pleasence als TV-Prediger in den Fokus rückt.

Was das Drehbuch ab diesem Zeitpunkt abbrennt, lässt den Zuschauer zwischen belustigtem Schmunzeln und skeptischen Stirnrunzeln schwanken. Der grobe Wechsel möchte nicht richtig passen, obwohl er gleichzeitig American Rikscha aus der Zone der Beliebigkeit leicht heraus pusht. Die wenigen Gore-F/X, die urplötzlich abgebrannt werden (Stichwort: Pleasence lässt wortwörtlich die Sau raus) verwundern, erfreuen und wirken nachhallend wie der verzweifelte Versuch, die traditionelle Formel des italienischen Genrefilms vergangener Jahre zwischen wildem kopieren und kreativer Eigenständigkeit noch einmal wie früher aufleben zu lassen. Die Magie war damals leider schon komplett verflogen. Selbst solche Regisseure wie Sergio Martino, der leicht zwischen routinierter Auftragsarbeit und künstlerisch angehauchten Pulp-Kino wechseln konnte, schafften es nicht mehr, einem Drehbuch das lediglich Einflüsse damaliger Filmhits ohne jeden frischen, kreativen Impuls lieblos aneinanderpappt, im Drehprozess mehr Pepp zu verleihen. Selten fühlt man sich an die glorreichen alten Zeiten erinnert, wenn ein Einfall gleichzeitig hirnrissig wie charmant erscheint, wofür ich italienisches Genrekino u. a. so liebe.

American Rikscha
ist ein leidlich unterhaltender Thriller, der sich wenig von anderen italienischen (Genre-)Filmen der damaligen Zeit unterscheidet. Die geheimnisvolle Katze, welche immer dann erscheint, wenn die Lage für Scott und Joanna brenzlig wird, ist ein nettes Unikum; leider mit geringer Langzeitwirkung. Neben bemühtem Schauspiel kann Paco-Darsteller Daniel Greene den Kenner bei der Stange halten. Die nostalgischen Gefühle halten sich ingesamt wie ein positiver Eindruck des Films in Grenzen. Man will das mögen; nur irgendwann verkommt das in sich ständiges Zwingen und der Kapitulation, die wenige Jahre bzw. Monate von der italienischen Filmindustrie wie sie damals bestand, ausging. Man kann Sergio Martino zugute halten, dass er anders als einige seiner Kollegen nicht komplett dazu überging, schlicht US-Filme in allen belangen zu kopieren. Den anfänglich so tollen Vibe, kann er nicht den ganzen Film über aufrecht erhalten. Man merkt ihm, dem Film und dem Genrekino d'Italiano die Müdigkeit in jeder Minute an.
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