Mittwoch, 29. September 2021

Island of Lost Souls

Mit seinen Werken prägte H. G. Wells das Genre der Science-Fiction wie kein anderer. Sei es "Die Zeitmaschine", "Krieg der Welten", "Der Unsichtbare" oder "Die Insel des Dr. Moreau": jeder dieser Romane beeinflusste das Genre bis ins unsere Zeit und alle wurden für die große Leinwand größtenteils erfolgreich adaptiert. Leider blieben die Verfilmungen des letztgenannten Buches hinter den Erwartungen ihrer Produzenten zurück. Klammert man den unautorisierten und eher lose auf dem Roman basierenden Die Insel der Verschollenen von 1921 aus, wurde "Die Insel des Dr. Moreau" dreimal verfilmt; alle floppten sie gleichermaßen. So prophetisch die Mixtur aus Abenteuer-, Science-Fiction- und Horror-Roman ist, Wells nimmt mit dem Handlungen seiner titelgebenden Figur die Gentechnik vorweg und prägt für das Horror-Genre die Figur des Mad Scientist, so sperrig oder weniger greifbar bleibt sie scheinbar für das Publikum.

Verglichen mit dem Buch, dessen aus der Ich-Perspektive vorgetragene Narrative zum Geschehen immer etwas distanziert bleibt und die unvorstellbaren Experimente von Dr. Moreau behutsam an den Leser heranträgt, ist die erste offizielle Verfilmung Island of Lost Souls eine schmissige, temporeiche Horror-Revue in der damals noch jungen Tonfilm-Sause. Auf eine knappe Laufzeit von 70 Minuten beschränkt, erfuhr die Story einige Änderungen. Aus dem Protagonisten Edward Prendick wird hier Edward Parker, den ursprünglichen Familiennamen findet man in keiner der Verfilmungen, welcher nach einem Schiffsunglück einige Tage auf offenem Meer umher irrt. Aufgelesen vom Arzt Montgomery, der mit einem gemieteten Frachter auf dem Weg zu einer nicht näher benannten Insel ist, entfacht zwischen dem schnell erstarkten Parker, Montgomery und dem versoffenen Kapitän des Schiffs ein Streit, der dazu führt, dass Parker anders als versprochen nicht nach Apia zu seiner auf ihn warteten Verlobten mitgenommen wird, sondern mit dem Arzt und seiner Ladung an dessen Destination von Bord muss.

Auf dem abgeschiedenen Eiland lernt Parker den Arzt Dr. Moreau kennen, der sein wahres Wirken für seinen unfreiwilligen Gast lange im Nebel des Unbekannten lässt. Spät muss Parker feststellen, dass zwischen dem seltsam tierähnlichen Anblick der Insel-Ureinwohner und den Forschungen Moreaus ein Zusammenhang besteht. Von der Neugier getrieben, was Moreau in seinem nicht immer stillen Labor-Kämmerlein treibt, stellt er Nachforschungen an. Schockiert von der Wahrheit versucht er weg von der Insel zu kommen, während seine Verlobte Ruth in Apia nach dem vermissten Edward zu suchen beginnt. Der von Paramount als Konkurrenz-Produkt zu den erfolgreichen, von Universal produzierten Horror-Filmen gedachte Island of Lost Souls bietet dem Zuschauer anders als diese keine mythischen, teils in der Folklore verhafteten Monstren, sondern ein höchst humanoides Ungetüm, welches von Charles Laughton zurückhaltend und in seiner kühlen Distanz gleichermaßen beängstigend dargestellt wird. Sein Dr. Moreau ist weit weg vom mit dem Wahnsinn Walzer tanzenden, den Fokus der Narration in der Ausarbeitung der Figur an sich reißenden verrückten Wissenschaftlers.

Wie den Roman selbst, kann man den Film als Blueprint für das Horror-Subgenre um abgründige Vertreter der Wissenschaft ansehen. Die Science-Fiction- oder Abenteuer-Elemente der Vorlage meist ausgeblendet, konzentriert man sich bei Island of Lost Souls mehr darauf, deren Schockpotenzial auszuschöpfen. Verstand Wells sein Buch als Kommentar zum Verhalten seiner britischen Heimat als Kolonial-Macht und Kritik am Wesen der Religion, bleibt davon im Film wenig übrig. Einzig Moreaus kultiviertes Verhalten, immer freundlich und unterschwellig von Überheblichkeit und Überlegenheit beseelt, kann als Kolonialherren-Gebaren interpretiert werden. Der Pre-Code-Film würzt seinen Horror mit den Schattenseiten der Naturwissenschaften und einer überdeutlichen Prise Sex. Die wie Parkers Verlobte ebenfalls nicht im Buch existierende Figur der Pantherfrau Lota heizt die Stimmung als personifizierte Verführung auf und lässt den moralisch standhaften Parker straucheln. Moreaus Krone an Schöpfungen von Tiermenschen wird von diesem auf seinen Gast angesetzt, um zu beobachten, ob sie wie normale Frauen Empfindungen zum oppositären Geschlecht verspüren kann. Aus dem Kampf um Lust und Begierde, abgerundet von Laughton als von der Szenerie sichtlich erregten, voyeuristischen Arzt, folgt das tragende Melodram, um der Geschichte eine publikumswirksame emotionale Seite zuzufügen.

Leider lässt Island of Lost Souls auch Aspekte wie die der gesellschaftlichen Struktur der Tierwesen und deren Wahrnehmung ihres Schöpfers außen vor, was den religionskritischen Subtext des Buchs in der Verfilmung abflacht. Im Falle der ersten Umsetzung bleibt der Gott-Komplex Moreaus übrig. Diesen nutzt der Film weitgehend dafür, den titelgebenden Charakter, dessen Präsenz in allen Verfilmungen mehr in den Fokus gerückt und ausgedehnt wird, noch konkreter als Antagonisten zu bestimmen. Dieser und seine damals wahnwitzig erscheinenden Ansichten zur Erforschung der Evolution und deren durch das Zutun des Menschen schockierende Entwicklung erschaffen einen Vorzeige-Bösewicht in einem Film, der mehr die im Roman enthaltenen Sensationen wirksam ins Kino bringen wollte. Seine lange Exposition lässt den Film im späteren Verlauf durch seinen Plot eilen, was für eine flotte Erzählung, aber auch für krude Einzelszenenumsetzungen sorgt. Seinen Klassiker-Status verliert der 89 Jahre alte Film nicht.

Die Masken der Humanimal-Darsteller, darunter auch Bela Lugosi als "Sayer of the Law", sind heute noch ansehnlich. Über jeden Zweifel erhaben ist auch die Kameraarbeit von Oscar-Preisträger Karl Struss, der bei Charles Laughton mit geschickter Licht und Schatten-Setzung die boshaften Züge dessen Charakters hervorhebt. Der spät als Klassiker des Genres anerkannte Film, Wells selbst hat ihn gehasst und die Kritiken waren mehr als durchwachsen, ist bei seiner konzentrierten Schauwert-Mentalität eine frühe Abkehr im Horrorfilm vom romantisierten Schauerroman als häufige Vorlage für das Genre, was  spätestens mit H. G. Lewis' frühen Splatter-Werken und dem Erwachen des modernen Horrors mit Romeros Night of the Living Dead im Kino Einzug erhielt. Wells Betrachtungen, der Naturalismus innerhalb seiner in der Phantastik verorteten Geschichte, mögen nur oberflächlich in der Verfilmung behandelt werden, sorgen dort für einen vielleicht zu modernen, zu nahe am Realismus angelehnten Stil, der eventuell seiner Zeit voraus war. Schade, dass diese Qualitäten und seine flotte, unterhaltsame Art nicht bereits zu seiner Entstehungszeit geschätzt wurden.




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