Stilistisch mag sich The Candy Snatchers weit weg von dem bewegen, was man unter den Begriffen Film noir oder Neo-Noir zusammenfasst. Der Film ergibt sich seinen Drehorten und der dort gleisend hellen, fast ohne Unterlass brennenden kalifornischen Sonne, die keinen Platz für Schatten lässt, welche die dargestellten kriminellen Taten verschlucken könnten. Der Geist des frühen 70s-Exploitation-Kinos beseelt seine naturalistischen Bilder. Regisseur Guerdon Trueblood, der hier seinen ersten und einzigen Langfilm ablieferte, lässt keine Verdorbenheit aus und lässt den Zuschauer Zeuge einer schrecklich schief gehenden Entführung werden. Dem Film innewohnendes Weltbild gibt sich dafür so schwarz und pessimistisch wie das, was Hollywood in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ablieferte. Schlechte Welt, schlechte Menschen. Komplett möchte man seine Sympathien keiner der im Film vorkommenden Figuren schenken.
Vom Entführungsfall der Barbara Jane Mackle inspiriert, erzählt der Film von den Geschwistern Jessie und Alan sowie ihrem Kumpel Eddy, die sich den erträumten Reichtum mit der Entführung der 16-jährigen Candy zu ergaunern versuchen. Zuerst scheint alles glatt zu gehen. Das Trio bringt Candy auf ihrem Schul-Heimweg in seine Gewalt und verfrachtet das Mädchen außerhalb der Stadt in einer in einem ausgehobenen Erdloch befindlichen Kiste. Just nachdem man diese mit losem Erdreich verdeckt hat - mit einem im Kistendeckel befindlichen Rohr wird für die Sauerstoffzufuhr des Teenagers gesorgt - erpresst man ihren Stiefvater Avery, dem Manager eines Juweliergeschäfts und zwingt ihn dazu, ihnen ein paar dicke Klunker aus dem Laden zu überreichen, wenn er Candy wieder in seine Arme schließen möchte. Entgegen ihrer Annahme muckst sich dieser überhaupt nicht und widmet sich in aller Seelenruhe weiter seiner Affäre und tischt seiner Gattin und Candys Mutter darüber hinaus Geschichten auf, um die fortwährende Abwesenheit des Mädchens zu erklären.
Ohne einen Plan B in der Tasche zu haben, verfällt das Protagonisten-Trio an diesem Punkt der Geschichte in Nervosität und Leichtsinn. Das Konstrukt des vermeintlich perfekten Verbrechens fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus und mit ihm der Zusammenhalt der Gruppe. The Candy Snatchers wiegt den Zuschauer mit seinem bis dahin etwas behäbigen Erzählstil in trügerischer Sicherheit, um im Kontrast zu seinen sonnendurchfluteten Bildern der Dunkelheit des weiteren Plots das Tor zu öffnen. Money is the root to all happiness erklärt uns bereits der Titelsong, in sanften Tönen vom kanadischen Singer-Songwriter Kerry Chater vorgetragen. Ein Satz, der das überwiegende Leitbild der den Film bevölkernden Figuren zu sein scheint: glückselig ist man erst, wenn auf dem Bankkonto eine überaus hohe Zahl auftaucht. Die in The Candy Snatchers befindlichen Menschen jagen alle einem weit entfernten Traum nach, dessen Blase in luftiger Höhe zerplatzt und das Aufkommen am Boden nach sehr tiefem Fall als besonders unschön darstellt.
Das naturell mancher Zeitgenossen und das, was hinter ihrer makellosen Maske erscheint, offenbart sich erst, wenn besonders einfache Bedürfnisse angesprochen werden. Regisseur Trueblood und sein Co-Autor Bryan Gindoff vermitteln diese Sicht auf unsere Spezies in ihrem Film ziemlich kaltschnäuzig. Dinge eskalieren, und das nicht gerade elegant. Einziger moralischer Strohhalm in diesem Konglomerat an üblen Vertretern des Homo sapiens scheint für den Betrachter der irgendwann an dem Tun der Gruppe zweifelnde Eddy. Diese kleinen Lichtblicke lassen auf ein versöhnliches Ende hoffen; doch Hoffnung ist für die Figuren wie den Zuschauer eine weitere zerplatzende Luftblase. Es ist schade, dass Trueblood keinen weiteren Spielfilm mehr inszenierte. Den seiner Geschichte anhaftenden Schmutz und die anwachsende unangenehme Stimmung setzt er mit hierfür merklich vorhandenem Gespür um. Dem Thriller-Grundgerüst stülpt er eine ansehnliche Hülle über, über die er zu guter Letzt eine gute Portion Sleaze kippt.
Herangehensweise und Schilderung des Kriminalfalls mag durchaus plakativ sein. Das rüttelt nicht an der Tatsache, dass The Candy Snatchers nicht bloß einer unter vielen Exploitation-Filmen, sondern in diesem weiten Rund mit über routiniert einzuordnenden Handwerk und seiner Weltsicht hervorsticht. Der Thriller ist ein nihilistisches Kleinod und offenbart im Endviertel, was für ein boshafter Film er eigentlich ist. Der Subplot um einen stummen, autistischen Jungen, der als einziger weiß, wo die Entführer Candy festhalten, ist in den finalen Minuten des Films ein weiterer Schlag in die Magengrube des Zuschauers, der beim Beginn des Abspanns als erstes einige Male tief durchatmen muss. Den im Film noir zum Stilmittel gewordene negative Blick auf die Welt und seine Bewohner kombiniert Trueblood in seinem Film mit dem schonungslosen offenen Exzessiv-Kino des Exploitation-Films. Gegen Ende spürt man dann auch den imaginären Finger des Regisseurs. Es ist nicht der moralisch erhobene Zeigefinger, der dem Zuschauer gewahr macht, sich die bösen Leute auf der Leinwand nicht zum negativen Beispiel zu machen. Mehr ist es ein wütender Mittelfinger, den er einigen menschlichen Kreaturen beim gleichzeitigen Spiegel vorhalten entgegenreckt, was The Candy Snatchers zu einem entdeckenswerten Tipp macht.
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