Ich wollte es noch einmal versuchen. Sah ich vor kurzem den ziemlich schnarchigen Das zweite Gesicht, in dem Macaulay Culkin nach seinen Kinoerfolgen als Kevin Elijah Wood nach dem Leben trachtet, wurde diesmal mit dem 1994 entstandenen The Paperboy ein für die damaliger Zeit üblicher B-Movie gewählt, der von einem mörderischen Blag erzählt. Dieses trägt hier den Namen Johnny, seine Tätigkeit als Zeitungsjunge tut für die Handlung eigentlich nichts zur Sache und hat verglichen mit Culkin einen großen Pluspunkt zu verzeichnen: Darsteller Marc Marut nimmt man diese Rolle mehr ab. Seine aufgesetzte Freundlichkeit, die er im Zusammensein mit seiner selbst ausgewählten, viel mehr auserkorenen neuen Familie, zeigt, birgt einige fühlbar unangenehme Momente mit sich. Jedes Mal, wenn Johnny die kleine Cammie und ihre alleinerziehende Mutter Melissa besucht und versucht, sich in deren Leben und Alltag zu drängen, beschleicht einen als neutraler Betrachter der Situation ein ungutes Gefühl, wie falsch und aufgesetzt das Verhalten des angeblichen Bilderbuchjungen wirkt.
Natürlich ahnen Melissa und Cammie nichts davon, dass Nachbar Johnny etwas mit dem Tod der Großmutter, der sie in die alte Heimat Melissas bringt, zu tun hat. Seine Besessenheit den beiden gegenüber blitzt nur dann auf, wenn etwas nicht wie erwartet verläuft oder sein verzerrtes Bild der perfekten Familie nicht erfüllt wird. Das erinnert manchmal an The Stepfather aus Kinderperspektive, ohne das dessen bösartiger Ton erreicht wird. Dafür ist The Paperboy zu konventionell und konservativ aufgebaut. Die Direct-To-Video-Produktion bietet im Aufbau von Johnnys steigendem Wahn manche gut unangenehme Szenen, ist allerdings mit dem gleichen Fluch wie Das zweite Gesicht behaftet. Der kleine B-Thriller schielt merklich auf ein breiteres Publikum, dass er aus den damaligen Videotheken mitnehmen wollte und ist als Thriller zu brav. Die Handlungen des Antagonisten sind, wenn sich für diesen ein Problem ergibt, vorhersehbar und das mörderische Treiben geschieht halb angedeutet, halb ausgespielt, würde allerdings nicht mal die Zielgruppe grausamer Rosamunde Pilcher-Schmonzetten erschrecken.
Die größte Stärke des Films sind Johnnys Versuche, ein Teil der Familie zu sein, die er sich so sehr wünscht bzw. die in seinem Kopf schon längst existiert. Das dies natürlich von Melissa entdeckt wird und der Junge daraufhin vollends am Rad dreht, ist offensichtlich. Das Spannungslevel ist leider die ganze Zeit über ziemlich niedrig angesetzt. Regisseur Jackson zeigt Gefühl dafür, die Bilder der heilen Familienwelt aufzubauen um sie dann von Johnny in schrecklich schleimiger Art und Weise zu infiltrieren, aber nicht für die Momente, wenn es wirklich um Spannung geht. Beinahe wünscht man sich sogar, dass der Junge Erfolg hat. Melissa und Cammie sind einfach zu perfekt, zu viel Klischee, um authentisch zu wirken oder komplett Sympathie beim Zuschauer aufzubauen. Johnnys Auftauchen in ihren gemeinsamen Szenen bringt eine Creepyness, die leider nur hier zu spüren ist. Der Rest ist für einen unterhaltsamen Thriller oder sogar einen Slasher viel zu wenig. Das erinnert eher (leider auch) an einen US-TV-"Spannungsfilm". Die drögen Bildkompositionen, das synthethisch erzeugte Dudelorchester und der freundlich ausgerichtete Grundton des Films, dieser milde Thrill der gar keiner ist, lassen The Paperboy zu einem unterdurchschnittlichen Erlebnis werden.
Als die deutsche Bootleg-DVD erschien, klingelte es zu dieser Zeit schwach in meinem Kopf, dass der Film wahrscheinlich mal irgendwann im Spätprogramm der privaten Sender lief. Ein vereinzelter Eintrag in der OFDb bestätigte meine Annahme. Zu dieser Zeit erblühte meine Liebe für den Film; das ich damals mit vielen B-Filmen (nicht nur) aus dem Horrorbereich anfing, zeigt mein noch heute anhaltendes Interesse dafür. Die damalige Ausstrahlung von The Paperboy - zu Beginn wurde alles, was interessant für einen in der Pubertät steckenden, angehenden Filmliebhaber klang und im TV lief, aufgenommen - habe ich aus irgendeinem Grund ignoriert und einen anderen Film vorgezogen. Die Jahre später vollzogene Sichtung des Films zeigt mir warum: irgendwann zu Beginn scheint Johnny sinnbildlich das vorhandene Potenzial der Geschichte mit samt seinen im Fahrradkorb befindlichen Zeitungen wegzuwerfen, damit daraus ein Film wird, der schnell vergessen werden kann.
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