Freitag, 30. März 2018

Atomic Blonde

Eigentlich ist Atomic Blonde in seiner Konzeption en vogue: es ist ein technisch gekonnt umgesetzter Film mit einigen guten Szenen, mitsamt einfallsreicher Fotografie. Seine Geschichte spielt nicht nur in den ausgehenden 80ern zur Zeit der bevorstehenden Wende in Deutschland, kurz vor dem Zusammenfall des eisernen Vorhangs, er bedient sich freudig bei der damals vorherrschenden Ästhetik. Es ist nicht einer dieser fancy retro movies, der vollends rückwärts gewandt mit verklärt nostalgischer Vita ganz vorgibt, aus einem anderen Jahrzehnt zu stammen. Atomic Blonde will wild, chaotisch, aufregend sein, wie die Zeit in der geteilten Stadt Berlin, in der seine Handlung spielt. Komplett erreicht er das leider nur bei seinem Soundtrack, der ungeniert in allen erdenklichen Stilrichtungen des Jahrzehnts wildert und so unterschiedliche Interpreten wie New Order, Nena, Peter Schilling, David Bowie, A Flock Of Seagulls, The Clash oder Siouxsee And The Banshees vereint.

Auf erzählerischer Ebene braucht David Leitchs Film wie einer der vielen zugezogenen Bewohner der Bundeshauptstadt eine ganze Weile um komplett anzukommen. Seine spröde Atmosphäre, die auch ästhetisch unterkühlt wirkt, die auch durch Wechsel zu wärmeren Farbpaletten in einigen Szenen nicht komplett verschwinden möchte, wahrt eine Distanz zum Zuschauer. Regisseur Leitch erklärte in Interviews zum Start des Films, dass er das vorherrschende Gefühl im damals noch geteilten Berlin, die dortige Stimmung, sein Aussehen, adäquat umsetzen wollte. Den Drehort Budapest haben die Set Designer mit beeindruckender Hingabe in die Stadt der deutschen Städte verwandelt, einigen historischen Unkorrektheiten zum Trotz, deren Bemängelungen mir vor einiger Zeit bei Twitter über den Weg liefen. Einem auf die Action und die Stimmung konzentrierten Film sollte man einige Unkorrektheiten verzeihen können; bei diesem Genre auf sowas zu achten und nörgelnd den Finger zu erheben ist meiner Meinung nach ebenso paradox (und unnötig) wie das ständige Verlangen einiger Menschen nach realistischem oder komplett logischem Handlungsverlauf in phantastischen Filmen.

Mehr zu bemängeln ist das Drehbuch, dass die Spionageposse um eine britische Agentin, die als Russin getarnt vom Geheimdienst ihrer Majestät nach Berlin geschickt wird, um einen Doppelagenten und eine Liste mit brisanten Informationen, die zuletzt im Besitz des ermordeten Agentenkollegen James Gasciogne war, ausfindig zu machen, höchst kompliziert erzählen möchte um den Zuschauer mit ständigen Wendungen zu überraschen. Anstatt eine Stimmung des Misstrauens zu erzeugen, stärkt er damit die Distanz des Films zum Zuschauer. In der Stadt ansässige Russen, ein Überläufer der Stasi mit fotografischem Gedächtnis der bei der Hatz auf die Liste zu einer wichtigen Person und Jagdobjekt wird, ein britischer Kollege mit zweifelhafter Einstellung bezüglich seiner Arbeitsmoral und dann auch irgendwie noch mitmischende französische Agenten bringen die Story zum überquellen. Auf visueller Ebene funktioniert Atomic Blonde und scheint sich wahrscheinlich gut an der Graphic Novel-Vorlage zu orientieren. Mit der verknoteten Narration hangelt man sich als Zuschauer von Szene zu Szene, erfreut sich an den hübschen Bildern und wartet, ja hofft, auf den einen Moment, der das Ruder herumreißen könnte.

Es dauert, aber: er kommt. Eine gut zehnminütige, ohne jeglichen Schnitt auskommende Sequenz, in der sich Hauptdarstellerin Charlize Theron mit dem angeschossenen Überläufer im Schlepptau durch ein ganzes Treppenhaus und eine Wohnung prügelt und schießt, ist eine der besten Actionszenen der letzten Jahre. Die fließende Steadycam, die immer nahe an der Protagonisten und dem Geschehen ist, bringt auch eine Annäherung zum Zuschauer selbst, der von der perfekten, knochentrockenen und -harten Choreographie von Beginn an mitgerissen wird. Danach funktioniert alles etwas leichter, der imaginäre Stock im Hintern des Films scheint mit Schwung raus gezogen worden zu sein. Der Funke ist übergesprungen; für einen komplett positiven Gesamteindruck zu spät. Unterkühlt kann man bis dahin nicht nur Therons Spiel nennen, die zeitgleich nicht nur den mit bösen Absichten durch Berlin stapfenden Spionagekollegen aus Russland, sondern dem ganzen Werk an sich in den Hintern getreten hat.

Wenigstens das ist ein weiterer Punkt, den man bei Atomic Blonde positiv verbuchen kann: Er stellt eine Frau in Mittelpunkt, eine verdammt starke und wortwörtlich schlagkräftige Heldin, die weit über den restlichen, männlichen Figuren positioniert ist. Der Film vertritt einen Kick Ass-Feminismus, der nicht einfach eine weibliche Protagonistin präsentiert, um damit genügend Frauen anzusprechen die mit Theron als Agentin mitfiebern können. Nebenbei, vielleicht unbeabsichtigt, vielleicht hinnehmend wenig vertieft und ausgearbeitet, zeigt Atomic Blonde dem mit vorwiegend männlichen Protagonisten arbeitenden Actionkino einen Mittelfinger und zeigt, dass auch coole Frauen durchaus ihren Mann stehen und einen Film tragen können. Immer nur Statham, Diesel und die restlichen, allseits bekannten (und langweiligen) Gesichter sind eintönig und das alle Actionhelden meistens mit einer großen Knarre als Phallussymbol unterstreichen, dass der Mann das sagen im Actiongenre hat, ist schrecklich überholt. Das wiederum macht Atomic Blonde richtig, auch wenn er formell auf erzählerischer Ebene eine Spur zu dick aufträgt und die Fäden seiner Geschichte schnell zu fest zurrt und verknotet. Aber man kann eben nicht alles haben.
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