Man sollte mit Comic-Verfilmungen nicht so hart ins Gericht gehen. Die Filme des MCU mögen seichte effektüberladene Mainstream-Blockbuster sein, die Werke im DC-Universum düster, aber qualitativ nicht überzeugend; diese Filme als Kinderquatsch abzutun wie das Ursprungsmedium selbst ist ein voreiliger Schluss. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten; Comicverfilmungen sind mein Guilty Pleasure und so war Deadpool 2 tatsächlich seit langem einer der Filme, an dessen Starttag ich ins Kino pilgern musste. Schon mit dem Erstling wählte man eine andere Richtung als das, was man ansonsten aus dem Kinouniversum Marvels kennt. Zur Erinnerung: die Filmrechte am plauderlustigen Antiheld gehören 20th Century Fox und damit in deren X-Men-Universum. Auch der zweite Aufguss bietet all das, was die Comicvorlage und deren erste Verfilmung boten: zotige Sprüche, Schimpfwörter, blutige Action die Deadpool 2 ebenfalls zu einem R-Rating verhalf und die Meta-Ebene, auf der popkulturelle Anspielungen und nicht zuletzt das durchbrechen der vierten Wand stattfinden.
Deadpool spricht. Ständig. Egal ob mit den Protagonisten oder dem Zuschauer. Eröffnet wird der Film mit einer persönlichen Ansprache an den Zuschauer, der die sympathische Nervensäge dabei zeigt, wie er sich selbst in die Luft sprengt. Nach den Credits, die herrlich die Vorspänne der James Bond-Filme aufs Korn nehmen, erklärt uns Wade Wilson, wieso er zu diesem drastischen Schritt griff: Gangster, die ihn nach Hause verfolgten, verschaffen sich gewaltsam Zutritt und bringen seine Freundin Vanessa um. Die Trauer um sie wirft ihn in ein tiefes Loch und ausgerechnet X:Men-Mitglied Colossus nimmt sich diesem an, um ihm heraus zu helfen. Er wird zum "X-Men in Ausbildung" und trifft bei seinem ersten Einsatz auf den Jungen Russell, einem Mutanten mit leichten Aggressionsproblemen. Da Deadpool hierbei wie für ihn typisch über die Stränge schlägt, werden er und der Junge verhaftet und in die Ice Box, einem riesigen Gefängnis für Mutanten im tiefsten Kanada, gebracht. Dort treffen sie zum ersten Mal auf den Zeitreisenden Cable, der aus der Zukunft gekommen ist, um Russell umzubringen. Deadpool kann sich bei Cables Massaker in der Ice Box retten und ruft zu einem Casting für seine eigene Superheldengruppe, der X-Force auf, um mit seinen neuen Mitstreitern, darunter die ständig das Glück anziehende und für sich ausnutzende Domino, Russell zu befreien und vor Cable zu retten.
Das passiert in einem Affenzahn. In der ersten Hälfte des Films ergibt sich die Handlung mehr aus einer mit einem roten Faden versehenen episodischen Sammlung von Set Pieces, unterbrochen von Zwischensequenzen die sich mehr dem komödiantischen Teil widmen. Als Zuschauer findet man schwer in den Film hinein. Das Sequel lässt kaum zu, sich länger auf Charaktere, Situationen und die zugegeben zuerst recht dünnen Geschichte einzulassen. Das Druckmittel der Fanerwartungshaltung schlägt hier zu und es wird alles, was auch die comicunkundigeren Fans am Anarchohelden lieben lernten, in das Drehbuch gequetscht. Erst mit dem Überfall auf die Ice Box entwickelt sich eine zusammenhängendere Geschichte, die einem nun kleinere Verschnaufpausen gönnt und sich etwas weg von der bisherigen One-Man-Show des Protagonisten bewegt. Die Nebencharaktere kommen dennoch zu kurz. Die Hintergründe Cables, schön schroff von Josh Brolin dargestellt, werden des Plots wegen etwas ausführlicher beleuchtet. Die ebenfalls interessante Domino, die anders als in den Comics hier als Pam-Grier-Like Blaxploitation-Superheroin dargestellt wird, bekommt außer in den Actionszenen wenig Zeit, zu glänzen. Deadpool 2 ist ein Film mit Ryan Reynolds, der auch wenn er mal nicht zu sehen gefühlt ständig präsent ist und sich manchmal so anfühlt, als wäre er auch von ihm (immerhin hat der Mime beide Teile mitproduziert und am Buch mitgeschrieben).
Das prädestiniert Reynolds, in die Rolle des Deadpools zu schlüpfen, scheinen beide doch äußerste Egozentriker zu sein, ein bisschen in sich selbst verliebt, die wissen, dass man sie einfach toll finden muss, weil sie einfach so lausbübisch und lustig sind. Funktionieren tut dies nicht hundertprozentig. Das Gag- und Spruchfeuerwerk, das im Stakkato über den Zuschauer hereinbricht, zündet nicht immer. Deadpool 2 lässt sich hier mit dem damaligen Klassenclown in der Schule vergleichen, der immer mit Sprüchen um sich warf, von denen aber so einige ihr Ziel (meilenweit) verfehlten. Wenn sich der Film in der zweiten Hälfte dem Druck der Fans verwehrt, wird er zugänglicher. Die Gags funktionieren besser, ja irgendwie gewöhnt man sich an die Spruchdauersalven, obwohl sie - kennt man Teil 1 - nichts neues sind. Die Action füllt die Leinwand ganz aus, erhöht das Tempo des Films nochmal und bietet gute Fights, viel Gerumpel und einige ziemlich blutige Szenen (ohne groß zu spoilern geht das "X-Force-Massaker" fast in die Richtung Funsplatter). Mit Regisseur David Leitch, dessen Atomic Blonde ich vor kurzem besprochen habe, hat man sich dafür jemanden geholt, der mit solchen Szenen überzeugen und sowas inszenieren kann.
Dann ertappt man sich, dass das Grinsen immer breiter wird und dieser lausbübische Charme einen um den Finger gewickelt hat. Selbst wenn man erkennt, dass Deadpool schon anders ist, sich im Kern aber nicht groß von den großen Brüdern des MCU unterscheidet. Die Reihe ist eine Art adoleszente Form des Marvel-Films, eine filmische Pubertät, die nach einer konservativen, gleichförmigen Phase und den Vorbildern zugewandten Werken (trotz der ein oder zwei Ausreißer) über die Stränge schlägt, es gerne übertreibt und sich versucht. Das muss nicht immer funktionieren und kann auch scheitern. Das darf bescheuert sein, das darf lustig gemeint sein und dann vollkommen versagen. Kitschig darf es meinetwegen auch sein; die Lovestory, die Trauer Wades um die tote Dame des Herzens: emotionale Momente werden gerne mit einer lustigen Wendung erstickt. In der Pubertät kann das eben dann doch zu peinlich sein. Komplett könnte man es Deadpool 2 nicht abnehmen, wenn er versuchen würde, ernsthaft eine Botschaft mit auf den Weg zu geben. Oder versteckt sie sich doch zwischen all dem Action- und Gag(a)-Dauerfeuer? Vielleicht mit viel Augenzwinkern verdeckt: Schicksal ist, was man selbst daraus macht; man bestimmt seine Zukunft selbst - das zeigt uns Deadpool 2 in einem der größten Lacher des Films während des Abspanns, der zugleich die beste selbstironische Szene darstellt. Dann packt man noch ein wenig Familie dazu und das Herz schmilzt komplett; zumindest beim US-Publikum, bei dem man auch in R-Rating-Filmen mit grundkonservativen Themen punkten kann. Man verzeiht es dem Sequel, wie auch seine Schwierigkeiten, aus den anfänglichen episodischen Momenten auszubrechen und sich seiner Geschichte zu widmen. Für zwei Stunden Kurzweil reicht es, auch wenn der Unterhaltungsgrad im Vergleich zum ersten Teil minimal schwächer ist.
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