Filmisch darf man in Südkorea meiner bescheidenen Meinung nach gerne öfter den Zug nehmen. Nachdem ich vor einigen Monaten von Bong Joon-hos dystopischen Snowpiercer nach anfänglicher Skepsis angenehm überrascht wurde, konnte mich auch Train To Busan (mehr als) überzeugen. Der Film baut seine auf den ersten Blick einfach gestrickte Geschichte zügig und auf den Punkt gebracht auf: Su-An, die kleine Tochter der viel beschäftigten Fond-Managers Seok-Woo, möchte an ihrem Geburtstag mit dem Zug nach Busan zu ihrer Mutter reisen. Am besten alleine, damit sie ihrem Vater nicht die kostbare Zeit stehlen muss. Der über und über in Arbeit steckende Seok-Woo lässt dies nicht zu, zumal er versucht, die voranschreitende Vernachlässigung seines Kindes zu unterbinden. Er schaufelt sich Zeit frei und besteigt mit ihr in den frühen Morgenstunden den Zug Richtung Mutter des gemeinsamen Kindes und Ex-Frau.
Entspannt wird die Zugfahrt keineswegs. Eine schwer verwundete Frau rettet sich kurz vor Abfahrt in das Hochgeschwindigkeitsgefährt, verstirbt in einem Gang und steht kurz darauf wieder auf und ist von rasender Blutgier angetrieben. In dieser fällt sie über die Passagiere her, infiziert und verwandelt diese ebenfalls in nach dem roten Lebenssaft gierende Bestien. Die überlebenden Zuginsassen kämpfen in den schmalen Gängen um ihr Überleben und müssen über Lautsprecher erfahren, das in Korea immer mehr Städte von diesen mordlüsternen Kreaturen überrannt werden. Nur das Endziel, Busan, scheint sich noch erfolgreich zur Wehr zu setzen. Bis die zweitgrößte Stadt Südkoreas erreicht ist, schickt Regisseur Yeon Sang-ho seine Protagonisten, wie für das Subgenre üblich eine Gruppe grundverschiedener Persönlichkeiten, innerhalb des Gefährts auf eine gefahrenvolle Reise, die bei allen Massenszenen und Horden an Zombies, die über die Fahrgäste hereinbrechen, auch immer Zeit für Zwischenhalte mit leisen Tönen findet.
Train To Busan ist nur auf den ersten Blick ein krachendes Filmerlebnis, das gekonnt mit dem beschränkten Raum des Zuges spielt. Die Kamera ist Nahe am Geschehen, hält dabei geschickt auf den (Todes-)Kampf der Passagiere und lässt trotzdem vieles im Kopf des Zuschauers geschehen. Wie einige andere Zombiefilme, wobei genaugenommen die Kreaturen wie in Danny Boyles 28 Days Later im gesamten Film nie so genannt werden und wie dort rasend schnelle, blutdurstig und tollwütig-animalisch agierende Infizierte sind, steht Train To Busan mehr in der Tradition der Katastrophen- als Horrorfilme. Ist die Grenze im Zombiefilm zwischen beiden Genres fließend und springen einige Vertreter dieser Gattung innerhalb ihrer Geschichte hin und her, entschieden sich die Autoren hier auf den schnell über die Menschheit hereinbrechenden apokalyptischen Zerfall der Zivilisation, die hier von den Insassen eines Hochgeschwindigkeitszuges repräsentiert wird. Der von Night Of The Living Dead aufgegriffene Kammerspielaspekt mit dazugehörigen Konflikten innerhalb der Protagonisten-Gruppe ist, wie im großen Vorbild, stellvertretend für die menschliche Gesellschaft.
Für einen Mainstream-Film, was Train To Busan alleine schon trotz aller Zombiemassen- und Kampfszenen durch seine hier angesprochene Zurückhaltung ist, gibt er sich hier äußerst clever. Die benutzten Klischees sind ebenfalls gängige Vorurteile, die von einem werdenden, der wohl einfachen Mittelschicht entstammenden Vater Seok-Woo ständig an den Kopf geworfen werden. Fond-Manager, Finanzjongleure, Geldfresser, Blutsauger: die benutzten Synonyme für Seok-Woos Beruf sind Beschreibungen für seine Berufsgruppe, die sich vom einfachen Menschen ernährt und diese auffrisst. Hier werden klaffende, gesellschaftliche Gräben deutlich, die in der herrschenden Ausnahmesituation nur mit Mühe überwunden werden können. Auch weil (nicht allein) diese Gesellschaft, das bemerkt selbst Su-An, sich immer nur um sich kümmert. In der heutigen Zeit scheint - so der Tenor von Train To Busan - Egoismus und das um sich selbst kümmern auf den ersten Blick überlebenswichtig zu sein, um nicht von der Menschheit aufgefressen zu werden. Auf den zweiten, viel wichtigeren Blick, ist dies der Untergang eines funktionierenden Miteinanders. Wer nur auf sich selbst achtet und die sozialen Scheuklappen nicht ablegt, geht seinen Weg so lange, bis er gefressen wird.
Die Erkenntnis kommt für Seok-Woo und andere Figuren spät bis gar nicht. So ist der "Endboss" für den Vater keineswegs irgendein Zombie-Obermufti, sondern eine besonders unsympathische Erscheinung seines Gesellschaftsstandes, eine Art überzogenes Spiegelbild seinesgleichen, welches er überwinden muss. Das Train To Busan hier im Ende dieser Sequenz äußerst emotional zu Werke geht, ist für das Genre keine Selbstverständlichkeit. Allem aufkommendem Kitsch zum Trotz ist dies so mitreißend, wie die vielen Actionszenen und darin verwendeten Ideen. Übermäßig innovativ ist das nur bedingt, einige Wendungen der Geschichte sind vorauszuahnen und dennoch packt der Film bis zum Ende. In knapp zwei Stunden Laufzeit zeigt uns Regisseur Yeon Sang-ho, dass sein Gespür für gut getimte, spannende Szenen äußerst hoch ist. Nur gegen Ende, wenn eine Wendung nach der anderen dafür sorgen möchte, noch dramatischer, noch packender als die vorausgegangene zu sein, will man zu viel. Ansonsten ist Train To Busan ein gut konstruierter Action-Horrorfilm, der seinen Handlungsort sehr gut für viele spannende Szenen zu nutzen weiß und dazwischen zeigt, dass der steigende Egoismus des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft der falsche Weg ist, seinen Weg in dieser Welt zu gehen. Das sind einfache Werte, andere Filme können das Zombiethema mit tiefer greifender Sozialkritik füllen. Im Gesamten ist Train To Busan allerdings das Beste im Jahr 2017, wenn es um untote Wiedergänger geht.
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